Here is the German translation of half of Ted Honderich's book Humanity, Terrorism, Terrorist War: Palestine, 9/11, Iraq, 7/7..., the successor to his widely-known After the Terror. The translation in the Semit edition is by Sigrid Langhaeuser. You can also turn to some more of the book, in English.

Humanität, Terrorismus, Terroristischer Krieg:
Palästina, der 11.9.2001, Irak, der 7.7.2005 …


Inhalt

Unsere Fragen
Arbeitsteilung, der Anteil der Philosophie
Verhandlungen, Internationales Recht
UN-Resolutionen
Menschenrechte
Die Theorie vom gerechten Krieg
Realpolitik
Konservativismus und Liberalismus
Gleichheit in der Demokratie
Freiheit in der Demokratie
Hilfe von der Demokratie
Das Prinzip der Humanität
Der Charakter des Prinzips
Die Stärke des Prinzips
Die Ziele und die Mittel rechtfertigen die Mittel
Definition des Begriffs Terrorismus
Palästina
Einige Schlüsse bezüglich Palästinas
Eine furchtbare Schlussfolgerung zum palästinensischen Terrorismus
Verstehen, Billigen, Anstiften
Der 11. September 2001
Der 11. September 2001 und eine beunruhigende Frage
Irak
Schlussfolgerungen zum Irak, das Töten von Unschuldigen
Die Bombenanschläge in London am 7.7.2005 und die Bedeutung des Grauens
Der 7.7.2007 und die Frage nach den Feinden des Terrorismus
Unsere Gesellschaften und der Krieg gegen den Terror
Unsicherheit und die Folgen des Nicht-Urteilens
Postskriptum zum Antisemitismus

Danksagungen
Literaturhinweise
Index

Für
Freddie Ayer, Alasteir Hannay, Timothy Sprigge und
 Johnny Watling


Unsere Fragen

War die Gründung des Staates Israel in Palästina im Jahr 1984 Recht oder Unrecht? Wie ist die Entwicklung seit dem Erweiterungskrieg von 1967 zu beurteilen? Inwiefern war der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf die Zwinlingstürme in den USA gut oder böse? Wie steht es mit unserem anschließenden Krieg in Irak, der dem Land Freiheit und den Tod zahlreicher Menschen brachte? Was ist über das Grauen des 7.7. 2005 in London zu sagen? Waren die Geschehnisse in den U-Bahnzügen und dem Bus grässlich genug um, ebenso wie die Ereignisse von 11. September, in sich selbst ein Beweis zu sein? Und wie steht es mit dem Recht und Unrecht dessen, was in dieser Hinsicht noch auf uns zukommt? Und es wird weitere Anschläge geben.

Lassen Sie uns gemeinsam über diese Dinge nachdenken. Versuchen wir, uns auf begründete Urteile darüber zu einigen. Nach allgemeiner Überzeugung besteht ein Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen. Sie sind eine Kette verwandter Vorfälle. In jedem Fall wollen wir einander zuzuhören und dann zu unseren eigenen unterschiedlichen Beurteilungen kommen.

Die Fragen nach Recht und Unrecht stehen in engem Zusammenhang mit den Fragen nach der moralischen Verantwortung und der moralischen Glaubwürdigkeit der darin verwickelten Personen. Tatsächlich ist die Frage, wer die moralische Verantwortung für etwas trägt, gleichbedeutend mit der Frage, wessen Unrecht es war – oder der Frage, in welchem unterschiedlichen Ausmaß mehrere Personen zu dem Unrecht beigetragen haben. Diese Frage nach der Verantwortung, die Frage, wer sich ändern muss oder geändert werden muss, ist von klar ersichtlicher, unmittelbarer Bedeutung. Aber unser fundamentales und gemeinsames Anliegen ist die Frage nach Recht und Unrecht, nach Rechtfertigungen oder dem Fehlen von Rechtfertigungen, nach dem, was erlaubt oder verpflichtend oder weder das eine noch das andere war.

Und darum natürlich auch nach Recht und Unrecht in der Gegenwart. Nichts betrifft jemals nur die Vergangenheit. Tatsächlich kann man sagen, dass nichts ausschließlich die Vergangenheit betrifft. Zumindest geht es bei der Geschichtsbetrachtung um gegenwärtige Neugier, gegenwärtige Gefühle. Die Geschichte der jüngsten Vergangenheit wirkt sich fast immer auf Entscheidungen und Handlungen in der Gegenwart aus.

In unseren Gesellschaften sind wir gut ausgerüstet mit Urteilen, Vorschlägen und Wörtern, häufig nur dem Klang von Wörtern von unseren demokratischen Politikern und denjenigen, die mit ihnen sprechen. Diese Worte als Antworten auf unsere Fragen sind wohlbekannt und vertraut, eine Art Litanei, und wir hören sie wie im Traum oder sonst einem urteilslosen Zustand. Wir können aber auch wirklich etwas tun, nämlich selbst und selbständig denken und fühlen.

Will man eigene Antworten auf die Frage nach der Rechtfertigung dessen finden, was in Palästina, am 11. September 2001, in Irak, am 7. Juli 2005 und bei anderen derartigen Ereignissen passiert ist, nach der moralischen Verantwortung und der Frage, was jetzt zu tun sei, muss man jedoch auch noch eine weitere Frage beantworten. Begründete Urteile als Antwort auf bestimmte Fragen erfordern notwendiger Weise und unvermeidlich eine allgemeingültige Schlussfolgerung oder besser noch, eine allgemeingültige Sichtweise. Man kann eine Sache nicht isoliert betrachten, auch dann nicht, wenn es sich um eine ganze Serie von Ereignissen handelt.

Zunächst besteht die Gefahr, unlogisch zu sein, sich selbst zu widersprechen und dadurch seinen eignen Aussagen die Grundlage zu entziehen, also tatsächlich gar keinen Gedanken beizutragen. Wir werden also zusätzlich zu unseren Gedanken über die drei Fragen unserer Zeit über die allgemeine und fundamentale Frage nach Recht und Unrecht in der Welt nachdenken, die manchmal als zeitlos betrachtet wird. Man kann sie auch als die Frage nach Menschlichkeit, Anstand oder Gerechtigkeit bezeichnen. Damit werden wir sogar beginnen. Das soll keine Einleitung für das sein, was danach kommt, sondern die Grundlage und Struktur für alles Folgende.


Arbeitsteilung,
der Anteil der Philosophie

Zur Lösung all unserer Fragen, einschließlich der allgemeinen, ist Arbeitsteilung erforderlich. Dies gilt mit Sicherheit für die Frage des Konflikts zwischen den Palästinensern und dem Zionismus – wobei der Zionismus nicht als etwas Vages betrachtet wird, sondern als die Rechtfertigung, die Grundlage und Verteidigung des Staates Israel innerhalb seiner mehr oder weniger ursprünglichen Grenzen von 1948. Arbeitsteilung erfordert auch die damit nicht identische Frage nach den Palästinensern und dem Neo-Zionismus, wobei unter dem Letzteren die Ausdehnung Israels seit dem Krieg von 1967 auf weiteres palästinensisches Land zu verstehen ist, mit allem was dieser Vorgang für die Palästinenser bedeutet hat und noch bedeuten wird.

Der Terrorangriff auf die Zwillingstürme und das Pentagon in den Vereinigten Staaten am 11. September 2001 erfordert gleichfalls Arbeitsteilung zur Beurteilung von Recht und Unrecht, vielleicht nur für den Nachweis von Unrecht und das Ausklammern irrelevanter Tatsachen. Hat die Furchtbarkeit des Angriffs, der eine ganze Nation lähmte, auch die Frage nach seiner Natur und den notwendigen Reaktionen beantwortet?

Das gleiche gilt für den damit verbundenen Krieg der Vereinigten Staaten und Großbritanniens gegen Irak, der im März 2003 begann. Hatte dieser Krieg irgendeine Ähnlichkeit mit dem Terroranschlag vom 11. September? Gab es dafür eine Rechtfertigung? Das hängt nicht von der Ehrlichkeit und dem allgemeinen Anstand der Staatsoberhäupter dieser Länder, Bush und Blair, ab. Es hängt auch nicht von der Aufrichtigkeit des zuletzt genannten ab, des Führers der seinem Führer folgte. Selbst wenn er kein Mann sein sollte, dem Wahrheit etwas bedeutet, wenn er unfähig sein sollte, ihren Wert zu erkennen, könnte er doch richtig gehandelt haben.

Auch die Beurteilung des Angriffs auf drei U-Bahnzüge und einen Bus am 7. Juli 2005 in London erfordert Arbeitsteilung. Welche moralische Bedeutung, welche Bedeutung für die Frage nach Recht und Unrecht hatte die Tatsache, dass die britische Armee für die Tötung von erheblich mehr Menschen verantwortlich war, Menschen eines Volkes, mit dem sich die Terroristen identifizierten? Welche Bedeutung hatte die Tatsache, dass der britische Premierminister das Leben seiner eigenen Landsleute im Dienst einer ausländischen Macht aufs Spiel setzte, wie eine Woche später in einem Zeitungsartikel zu lesen war?

Historiker, auch solche, die sich mit Bevölkerungszahlen befassen, spielen eine Rolle bei der Beurteilung des Konflikts zwischen dem Zionismus und den Palästinensern und zwischen dem Neo-Zionismus und den Palästinensern. Wie viele Palästinenser und wie viele Juden lebten zu welcher Zeit in Palästina? In Irak gibt es andere Fragen für die Historiker. Wie viele Menschen sind durch den Krieg und seine Folgen ums Leben gekommen und auf welche Weise? Wurden die von der amerikanischen und der britischen Armee getöteten Opfer verbrannt und zerfetzt wie die, die von der anderen Seite getötet wurden? Töten Lenkgeschosse und Raketen immer auf diese Weise? Um wieder auf den 11. September und den 7. Juli und damit auf eine schwierigere Frage zu sprechen zu kommen, haben Religionen immer Zwecken gedient, die realer waren als sie selbst? Ist es immer um Wünsche für dieses Leben gegangen?

Auch Menschen, die die internationalen Beziehungen erforschen, haben eine Rolle zu spielen, in erster Linie solche, die die Macht des Wissens und des Urteilsvermögens in ihre Arbeit mit einbringen. Sie sind nicht immer in den Abteilungen für internationale Beziehungen der Universitäten zu finden. Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky kann als Beispiel für unsere Geschichte dienen. Ein Teil der Arbeit zur Beurteilung von Recht und Unrecht liegt in den Händen guter Journalisten, und dabei handelt es sich nicht nur um vorbereitende Arbeit. Was für Gefühle, was für eine Einstellung uns gegenüber hatten die Menschen in Irak, die wir angeblich befreien wollten?

Man kann sogar die Meinung vertreten, dass auch Parteigänger und Propagandisten, Menschen, die, möglicherweise ohne jeden Selbstzweifel, auf einer Seite stehen, bei wichtigen Fragen nach der Rechtfertigung eine Rolle spielen. Sie können einen Beitrag zum Erkennen der moralischen Wahrheit leisten, soweit das überhaupt möglich ist – auch wenn sie sich dieser Aufgabe und der Wahrheit selbst nur in geringem Maß und auf trügerische Weise verpflichtet fühlen. John Stuart Mill hat in seiner Schrift On Liberty dem Gründungsdokument des Liberalismus ,in dieser Richtung argumentiert und betont, wie wichtig es sei, alle Meinungen zum Ausdruck zu bringen, so empörend und abstoßend sie auch sein mögen.

Zweifellos können auch noch andere Anspruch darauf erheben, bei den Bemühungen um die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht eine Rolle zu spielen, zunächst im Allgemeinen und dann in Bezug auf Palästina und die drei anderen Ereignisse, die darauf folgten und die zumindest in einem Zusammenhang damit stehen. Rechtsanwälte fallen mir ein, und ich vermute, dass auch Politiker bei den Nachforschungen eine Rolle spielen können, jedenfalls einige von ihnen. Ihnen stehen Menschen zur Verfügung, die ihnen zuhören, was eine Art von Bestätigung ist. Auch politische Theoretiker können eine Rolle für sich in Anspruch nehmen. Schließlich sollen wir dem Irak angeblich die Demokratie bringen.

Auch Wirtschaftswissenschaftler können helfen. Wie viel Geld ist aus den USA nach Israel geflossen und fließt noch dorthin, was hat es bewirkt und was bewirkt es noch? Anwälte für internationales Recht beanspruchen ebenfalls eine Rolle, wozu Sie in Kürze Genaueres erfahren werden. Das gleiche gilt für Vertreter von Religionen, sowohl für islamische Geistliche als auch für Rabbis und amerikanische christliche Fundamentalisten, die, freundlich ausgedrückt, einen einfachen Glauben an die Bibel verfechten.

Rowan Williams, der Erzbischof von Canterbury und Leiter der Kirche von England, ist weniger simpel in seiner Betrachtung, wie der Glaube sich einen Weg durch Alpträume wie den 11. September erschließen und erfühlen könnte:

Selbst gemeine und mörderische Taten haben gewöhnlich irgendwo ihren Ursprung, und wenn sie extremer Natur sind, ist es nicht verkehrt, nach extremen Situationen zu suchen. Das bedeutet nicht, dass diejenigen, die diese Taten begehen, keine Wahl hatten oder nicht verantwortlich sind – ganz und gar nicht. Aber es gehört auch Sentimentalität dazu, alles, was wir nicht verstehen, dem ‚Bösen‘ zuzuschreiben. Das entlässt uns aus der Verantwortung. Es gestattet uns, die Frage zu vermeiden, was wir in der destruktiven Tat eines anderen wiedererkennen können.

Hilft uns das ein bisschen weiter? Vielleicht. Erkennen Sie sich selbst ein wenig in einem der Bombenattentäter vom 7. Juli wieder?

Bei der Arbeitsteilung zur Lösung aller Fragen zu Recht und Unrecht haben die Philosophen die Möglichkeit und vielleicht sogar die Verpflichtung, einen großen Beitrag zu leisten. Die historischen Vorbilder der Philosophen, an die ich hier denke, sind David Hume in Schottland und Immanuel Kant in Deutschland im achtzehnten Jahrhundert und Charles Sanders Peirce in den USA im Jahrhundert darauf, vermutlich auch Descartes in Frankreich. Ihr Denken wird etwas unzureichend als analytisch im weitesten Sinn dieses Wortes beschrieben.

Es handelt sich um eine allgemeingültige Logik. Sie führt zu einer Klarheit der Stellungnahme, die meistens in einer Analyse des Gegenstands anstelle irgendeiner anderen Art des Verständnisses besteht. Dazu gehören Folgerichtigkeit und Stichhaltigkeit des Denkens und Argumentierens, ferner Allgemeingültigkeit, die die Vollständigkeit ausmacht. Diese Logik ist begleitet von Skepsis und Ausgewogenheit und nach Möglichkeit auch von einem gewissen Selbstzweifel. Es wäre falsch, zu behaupten, Historiker und andere würden diese Logik nicht anstreben und manchmal auch erreichen. Aber sie ist nicht ihr Hauptbetätigungsfeld und kann dies auch nicht sein. Sie haben andere Dinge zu tun.

Es gibt einen zweiten Grund für den Anteil der Philosophie an der Aufteilung der Arbeit. Die allgemeine Frage nach Recht und Unrecht und die damit verwandten Fragen sind das Hauptthema des Teils der Philosophie, den man als Moralphilosophie oder Ethik bezeichnet. Es ist ein wichtiger und inhaltsreicher Teil der Philosophie.
Er beinhaltet Unterscheidungen, die unsere politischen Führer vorgeben nicht zu kennen oder die sie übersehen oder von denen sie noch nie etwas gehört haben. Dazu gehört das Wissen, dass die Verbindung zwischen dem Unrecht, einen Menschen zu töten, und der moralischen Verantwortung des Täters für die Tat nicht einfach ist. Die Moralphilosophie beinhaltet ferner das Wissen, dass man, wenn man einen politischen Führer ganz oder teilweise für moralisch verantwortlich für eine Sache hält, verpflichtet ist oder sein kann, etwas bestimmtes zu tun – nämlich zu versuchen, ihn daran zu hindern, noch mehr oder vielleicht Schlimmeres zu tun, und sich nicht nur auf seine Vergangenheit zu konzentrieren. Die Moralphilosophie kennt sowohl den Zusammenhang als auch das Fehlen eines Zusammenhangs zwischen charakterlichen Tugenden wie Ehrlichkeit in Verbindung mit einer Tat und der Frage, ob sie richtig ist.

Möglicherweise wird keine moralische Vorstellung, die im Zusammenhang mit Palästina, dem 11. September, Irak, dem 7. Juli und allem, was noch bevorsteht geäußert werden könnte, etwas Neues in der Moralphilosophie sein. Jede Art von Vorstellung war bereits Thema ausgiebiger Untersuchungen und Diskussionen. Die Forderung nach Folgerichtigkeit und einem einzigen Standard im Gegensatz zu zweierlei Maß wurde zu allen Zeiten verteidigt und untersucht. Diese Überlegungen zu missachten würde von ebenso großer Unwissenheit zeugen wie das Verwerfen von Werken wie The Population of Palestine: Population History and Statistics oft the Late Ottoman Period and the Mandate.

Etwa das gleiche ist über den Teil der Philosophie zu sagen, der als politische Philosophie bezeichnet wird. Gute philosophische Fakultäten an Universitäten, die in dieser Hinsicht vielleicht relevantesten Institutionen, haben sich vielfach abfälliger über die politische Philosophie geäußert als über die Moralphilosophie. Die politische Philosophie wird von tatsächlichem politischem Engagement beeinflusst. Teilweise toleriert sie das nicht Tolerierbare. Aber in vielen Fällen hat sie auch echte Forschungsarbeit geleistet, die sich von den Erklärungen der gewählten Demokraten und der Ideologie der parteiischen Think-Tanks im Web unterscheidet. Diese Philosophie heranzuziehen heißt, von etwas Nützlichem Gebrauch zu machen.

Auch in diesem Fall denke ich an den mehr oder weniger analytischen Teil der politischen Philosophie und nicht an die jüngste französische Philosophie, wenn sie mir gestatten, dies zu sagen. Die letztere ist erheblich kreativer, etwas ganz anderes. Sie ermöglicht es, die Realität des 11. September als von einem Traum angekündigtes Bild zu begreifen. Das ist zwar interessant, aber anscheinend werden dabei die Toten nicht berücksichtigt. Ob nun eine kurze Untersuchung einen nennenswerten Anteil an analytischer politischer Philosophie enthalten kann oder nicht, wenn man etwas darüber weiß, muss einem klar sein, dass man sie mit Vorsicht behandeln muss, beispielsweise, wenn es um die Demokratie geht.

Dennoch kann bei dem, womit wir uns beschäftigen wollen, weder mein noch Ihr Anteil an unserer gemeinsamen Untersuchung den Anspruch erheben, ebenso distanziert und unparteiisch zu sein wie Professor McCarthys Buch über die Bevölkerung in Palästina. Ebenso wenig wie, wenn es so etwas überhaupt gibt, eine vollkommen unabhängige Militärgeschichte des Krieges in Irak vom 20. März 2003 bis zum 1. Mai 2003, als Bush behauptete, der Krieg sei vorbei, tatsächlich aber noch der Tod vieler Menschen bevorstand. Das Gleiche gilt für das, was unparteiische Journalisten über die persönlichen Lebensgeschichten der Bombenattentäter vom 7. Juli geschrieben haben.

Die Logik der Philosophie oder das Streben nach solcher Logik ist, wenn sie im Rahmen der Moralphilosophie und der politischen Philosophie im allgemeinen verfolgt wird oder sich mit solchen Fragen beschäftigt, wie wir sie behandeln möchten, immer mit dem Eintreten für etwas Bestimmtes verbunden, mit Parteilichkeit der Argumente und Urteile. Ein anständiger Philosoph, der sich mit moralischen und politischen Fragen beschäftigt, befindet sich auf einer höheren Stufe als ein Rechtsanwalt beim Gericht, aber nicht außer Sichtweise von dessen Stufe. Wenn es etwas gibt, was man als moralische Wahrheit bezeichnen kann, ist es keine normale Wahrheit. Es fließen immer Wünsche mit ein.

Tatsächlich gab und gibt es Philosophen, die nichts als Parteigänger der oben beschriebenen Art sind und weder der sachbezogenen noch der moralischen Wahrheit treu sind. Ich bin überzeugt, dass man zwischen ihnen und jenen anderen Philosophen unterscheiden kann, die ihrer Berufung treu sind, die sich bei dem, was sie befürworten, an die moralische Wahrheit und die Wahrheit an sich gebunden fühlen. In unserem Gespräch hoffe ich, zu den letzteren zu zählen.

Bezüglich Ihrer Erwartungen in meinen Anteil an unserer Untersuchung muss noch eines hinzugefügt werden. Was Sie zu lesen bekommen werden ist kein Abschlusskommuniqué eines Weltkongresses der Philosophie zu vier bestimmten Themen und einem allgemeinen Thema. Es ist das Kommuniqué eines einzelnen Philosophen, der nicht mehr Anspruch darauf erheben kann, für die Mehrheit zu sprechen als jeder andere, und weiter davon entfernt ist als viele, der sich jedoch bemüht, die uns gemeinsam zur Verfügung stehenden Werkzeuge zu nutzen.


Verhandlungen, Völkerrecht

Könnte es trotz allem sein, dass wir bei unseren philosophischen Betrachtungen über unsere Themen einer anderen Denkschule oder Praxis folgen sollten als der Philosophie?

Was ist zum Beispiel von der Idee zu halten, die gewöhnlich mit Pazifismus und schätzenswerten und wohlmeinenden Personen in Verbindung gebracht wird, dass friedliche Verhandlungen in jedem Fall der Gewaltanwendung vorzuziehen sind? Daraus folgt, dass die richtige Lösung in  Palästina dann erreicht wird, wenn beide Seiten auf Selbstmordattentate und Kampfhubschrauber verzichten und stattdessen einfach miteinander reden. Und dass aus diesem einfachen Grund der 11. September, der Krieg in Irak und der 7. Juli nichts als furchtbare Fehler waren.

Gewaltlosigkeit als allgemeingültiges Prinzip kann schwerlich ernst genommen werden. Soll eine Frau, die gerade vergewaltigt wird, versuchen, mit ihrem Vergewaltiger zu diskutieren, wenn sie die Möglichkeit hat, ihn mit einem Schlag auf den Kopf auszuschalten? Soll ich ihn nur beschwören, aufzuhören? Allgemeiner ausgedrückt, es ist unmöglich, zu glauben, dass die richtige Lösung garantiert immer nur das Ergebnis von Verhandlungen sein kann und nicht von irgendetwas anderem. Aus dem allgemeinen Prinzip der Gewaltlosigkeit folgt, dass das Führen eines Krieges, auch wenn er von der Gegenseite begonnen worden ist, immer ein Unrecht ist – und vermutlich folgt auch daraus, dass es in jedem Fall ein Unrecht ist, eine Polizei zu haben, jedenfalls bis mehr zum Thema gesagt worden ist, wodurch das Prinzip zu etwas anderem transformiert wird.

Kommen wir wieder auf eines unserer Themen zurück: Aus der allgemeinen Idee der Gewaltlosigkeit folgt, dass nur langwierige Verhandlungen richtig für ein Volk sind, dem gewaltsame Mittel zur Verfügung stehen, um zu versuchen, etwas zu beenden, was bereits begonnen hat, nämlich seine Vernichtung. Es kann schließlich auch nicht sein, dass wir eine Konferenz in Genf hätten organisieren sollen, statt für ein Ende des Holocaust zu kämpfen, als diese Schreckenstat bereits in vollem Gange war.
Man kann nicht behaupten, man könne bei Verhandlungen zwischen einer schwachen und einer starken Partei darauf zählen, dass Vernunftgründe sie zu gleichwertigen Partnern machen würden. Oder dass die Starken immer verhandeln und nicht nur vorgeben, zu verhandeln, während sie an anderer Stelle vor Ort von ihrer Überlegenheit Gebrauch machen. Eine andere Möglichkeit, an die man in diesem Zusammenhang denken muss, ist die, dass eine Nation, die ganz und gar im Unrecht ist, so planen und handeln kann, dass die einzige Hoffnung auf Abhilfe für ihre Opfer in der Anwendung von Gewalt besteht – und dann diese Gewalt mit großem Erfolg verdammt.

Ohne Zweifel gibt es Fälle, sogar viele Fälle, in denen es richtig ist, zu verhandeln. Es ist jedoch undenkbar, dass es niemals richtig sein soll, anders zu handeln, dass es niemals richtig sein soll, Gewalt anzuwenden. Diese Vorstellung hat, nebenbei gesagt, mit einigen anderen Ideen eine Art von frommer Einfalt gemein, eine Einfalt, die sie widerlegt. Wir wissen bereits, dass es auf die großen Fragen zu Recht und Unrecht keine einfachen Antworten gibt. Wenn es sie gäbe, wären wir bereits darauf gekommen. Einfache Antworten sind falsch.

Übrigens entspricht die Antwort, über die wir gerade nachdenken, das Ablehnen jeder Gewalt, nicht wirklich der Meinung Ghandis, jenes großen Vertreters des zivilen Ungehorsams gegen die britische Herrschaft in Indien. Wie die bewundernswert gelassene amerikanische Philosophin Virginia Held erklärt und der ebenso gelassene britische politische Denker Bhikhu Parekh bestätigt, war Ghandi nicht der Meinung, dass man sich im Kampf für eine gute Sache auf zivilen Ungehorsam beschränken muss, wenn auf diese Weise keine Hoffnung auf Erfolg besteht. Wenn er gesagt hat, dass man der Unterdrückung am besten mit gewaltlosen Mitteln begegnen sollte, so hat er auch gesagt, es sei besser, sich mit Gewalt gegen die Unterdrückung zu wehren, als sich zu unterwerfen.

Finden wir wirksamere Hilfe für unsere Untersuchung, wenn wir mit der Arbeit einiger anderer Mitwirkender beginnen, die wir bereits erwähnt haben? Ein Professor für Völkerrecht könnte vielleicht mit Überzeugung sagen, wir sollten uns von diesem leiten lassen. Wir sollten uns von den Konventionen, Prinzipien, Präzedenzfällen, Verträgen und dem Gewohnheitsrecht des Völkerrechts leiten lassen, zum Beispiel bei der Beurteilung von Kriegserklärungen und Kriegsführung.

Die Idee ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. Eine davon besteht darin, dass wir herausfinden wollen, was in Palästina Recht oder Unrecht ist, und was in Irak und anderswo Recht oder Unrecht war, und nicht was gesetzlich oder ungesetzlich ist. Offensichtlich besteht ein abgrundtiefer Unterschied zwischen dem was gut und dem was legal ist. Dies hängt nicht von der Tatsache ab, dass in der Vergangenheit moralisch nicht vertretbare Dinge legal sein konnten, z.B. die Sklaverei. Auch die Tatsache, dass manchmal das, was legal ist, auch gut ist, ändert nichts an dem Unterschied. Er bleibt auch unberührt, wenn man Rechte ernst nimmt und nicht vollständig zwischen gesetzlichen und moralischen Rechten unterscheidet.

Was tatsächlich gut und richtig ist, ist nicht identisch mit dem, was jemand in ein Gesetz gefasst hat oder was infolge von Erweiterungen von Entscheidungen, Präzedenzfällen oder Zwängen zum Gesetzt geworden ist. Die Frage nach Recht und Unrecht kann einfach nicht von Gesetzbüchern und dergleichen beantwortet werden. Wenn wir sagen, etwas sei gut, dann meinen wir damit nicht, dass es dem Landesrecht oder dem Recht anderer Länder entspricht. War übrigens der Holocaust in Deutschland legal? Urteile und Übereinstimmungen zu dem, was gut und richtig ist, kommen vor dem Gesetz und sind der Ursprung des Gesetzes. Sie sind das Thema von Diskussionen für und gegen bestehende Gesetze und der Anlass für Gesetzesänderungen. Notwendigerweise sind daher moralische Beurteilungen und Übereinstimmungen etwas anderes. Sie sind die Grundlage, wie immer sie ausgedrückt und bezeichnet werden.

Wenn wir uns also an die Konventionen, Prinzipien, Präzedenzfälle, Verträge und das Gewohnheitsrecht des Völkerrechts halten wollten, würden wir uns nicht mit unsrer Frage beschäftigen. Aber wir würden unsere Frage damit auch nicht umgehen. Sie würde deshalb nicht verschwinden. Insbesondere könnten wir die Frage nicht vermeiden, ob das Verdikt des Völkerrechts über Palästina, den 11. September, Irak und den 7. Juli richtig ist.

Es gibt aber auch noch andere Gründe, nicht mit dem Völkerrecht als Ansammlung von Maßstäben, Prinzipen usw. zu beginnen. Einer der Gründe ist, dass keine Einigkeit darüber besteht, was es ist. Das bedeutet, dass es teilweise gar nicht existiert. Genauer gesagt bieten wesentliche Teile davon Raum für Interpretationen, die an Erfindungen im eigenen Interesse grenzen. Im Fall des Irakkrieges war eines klar. Zwischen den Staatsoberhäuptern der einmarschierenden Nationen, ihren Rechtsanwälten und anderen bestand keine Einigkeit darüber, ob der Krieg dem Völkerrecht entsprach. Der Rest der Welt war der Meinung, dass die angreifenden Parteien und ihre wenigen Anhänger sich ihr eigenes Gesetz geschaffen hätten. Tatsächlich war es absurd, überhaupt von einem Gesetz zu sprechen. Es ist keine Überraschung, sondern eine unzureichende Konzession, wenn eine gute Abhandlung über das Völkerrecht von einem angesehenen Rechtsanwalt, der kein Hitzkopf ist, mit dem Zugeständnis endet, dass gerade dieses Gesetz in besonders hohem Maß die Möglichkeit zu Veränderungen in Form eines Fait accompli durch Nationalstaaten bietet, die eine Vorreiterrolle beim Schaffen und der Inanspruchnahme seiner Regeln, Prinzipien und Institutionen spielen.

Glauben Sie, dass das Völkerrecht so wie es dasteht, was immer es sein mag und wie viel davon tatsächlich vorhanden ist, dem, was Recht ist, näher kommt als irgendetwas anderes, was auch immer unter dem Wort Recht zu verstehen sein mag? Sind Sie der Meinung, dass sehr viel Gehirnschmalz darauf verwendet wurde? Sagen Sie, dass es ein Prinzip der Selbstverteidigung enthält, das richtig sein muss, so oft es auch missbraucht worden ist? Denken Sie daran, dass auch die Genfer Konvention zur Kriegsführung darin enthalten ist, die vermutlich wenigstens manchmal von großem Wert ist?

Nun ja, es ist richtig, dass das Völkerrecht den einen oder anderen Teil oder Teile enthält, die vollkommen gerechtfertigt sind, ebenso wie der Teil des normalen Strafgesetzes einer bestimmten Gesellschaft, der Mord und andere Übergriffe gegen die Person betrifft. Man kann sagen, dass diese Gesetze ebenso moralisch wie legal sind. Unter bestimmten Umständen können sie sehr hilfreich sein. Man kann auch sagen, dass die Existenz eines Gesetzes ein zwar nicht besonders schwerwiegendes Argument dafür ist, dass das, was es verbietet, Unrecht ist. Aber das reicht bei Weitem nicht für eine allgemeine Empfehlung des Völkerrechts für unsere Zwecke aus.

Um eine solche allgemeine Empfehlung auszusprechen zu können, müssten Sie erst einmal erheblich mehr Munition gegen eine geschlossene Phalanx von mit Argumenten wohlgerüsteten Skeptikern auffahren und vorbringen. Diese reichen von Thrasymachus in Platos Republik bis zu den heutigen Rechtsphilosophen und Rechtsanwälten. Sie befassen sich mit der Tatsache, dass Gerechtigkeit der Wille des Stärkeren ist oder diesem zu nahe kommt. Und in jedem Fall ist es absurd zu sagen, dass man sich auf den einen oder anderen Teil von irgendetwas Legalem stützen soll, um die Rechtmäßigkeit von irgendetwas anderem zu begründen. Das könnte in einer Ansprache an pensionierte Beamte durchgehen, aber nicht in der realen Welt. Wir müssen die Teile kennen und, was noch wichtiger ist, wissen, warum sie vertretbar sind.

Wenden Sie ein, dass die Frage, um die es uns geht, nicht von einer anderen, noch schwierigeren zu trennen ist, nämlich der Frage, ob ein bestimmter Teil des Völkerrechts, der auf Demokratien zurückgeht oder von ihnen befürwortet wird, gut ist? Nun ja, es ist völlig unklar, welches Gesetz Sie empfehlen wollen. Sofern  es sich um ein Gesetz handelt, das durchwegs von Demokratien befürwortet wird, gibt es vermutlich nur sehr wenige davon. Aber Sie wechseln das Thema und reden von der Demokratie und nicht mehr von Gesetzen. Darauf werden wir noch zurückkommen.
Argumentieren Sie vielleicht folgendermaßen? Auf die Richtigkeit des Gesetzes, einschließlich des Völkerrechts, kommt es nicht wirklich an – das, worauf es ankommt, ist die Tatsache, dass es das Gesetz ist. Das ist einfach eine Tatsache. Das wird ziemlich oft behauptet, aber es ist unklar. Das kann man natürlich vielleicht zu pensionierten Beamten sagen. Aber das, was Sie anscheinend trotz eines Widerspruchs versuchen, kann man nicht machen. Man kann nicht die Frage nach dem moralischen Wert des Gesetzes beiseite schieben und gleichzeitig voraussetzen, dass das Gesetz irgendwie ein gerechtfertigter Imperativ sei. Und wenn Sie das nicht voraussetzen, sind Sie in die falsche Diskussion geraten. Unser Thema ist die Frage nach Recht und Unrecht, das wichtigste Thema im Zusammenhang mit vier Dingen und noch einigen weiteren, das Thema, an dem niemand vorbeikommt und dem auch niemand aus dem Weg gehen will.

Verabschieden Sie sich also von der Vorstellung, man könne entscheiden, was in Palästina und anderswo Recht und Unrecht ist, indem man von unserem bestehenden Völkerrecht ausgeht – von den Bestimmungen, den Gewohnheitsrechten usw. Das Gesetz wird in mancher Hinsicht nützlich sein, aber nicht von entscheidender Bedeutung. Und was ist von der allgemeineren Idee zu halten, vom sogenannten Rechtsgrundsatz auszugehen? Darunter ist vermutlich die Idee zu verstehen, immer die eine oder andere Version des Völkerrechts zugrundezulegen, was etwas anderes ist, als sich auf das zu berufen, was zu einer bestimmten Zeit für das Völkerrecht gehalten werden kann.

Diese Idee ist erheblich weniger überzeugend als die, sich an das bestehende Völkerrecht zu halten. Wenn Sie darüber nachdenken, gibt es auf diesen Vorschlag eine einfache Antwort. Wir können nicht der Meinung sein, dass es kein vorstellbares Gesetz geben kann, und sei es noch so monströs, das so geartet ist, dass wir es einhalten müssen, statt dagegen zu verstoßen. Es kann, trotz gegenteiliger Überlieferung, nicht richtig sein, dass irgendein Gesetz besser ist als gar kein Gesetz. Es kann unmöglich richtig sein, dass jedes vorstellbare Gesetz eingehalten werden muss, um die gesamte Institution oder Struktur des Gesetzes zu bewahren. 

Zu der Idee vom Rechtsgrundsatz kommen noch die vorstehend beschriebenen Bedenken hinzu, unsere Untersuchung mit dem bestehenden Völkerrecht zu beginnen. Wenn wir mit irgendeiner Bestimmung des Völkerrechts anfangen wollen, müssen wir notgedrungen die Frage nach ihrem moralischen Wert stellen. In diesem Fall können wir keinerlei Hilfe vom Gesetz erwarten, weil wir es nicht mit einem einzelnen Gesetzeswerk zutun haben. Und dann ist da noch ein anderes Problem in einer besonderen Form. Wie sollen wir uns von einem von vielen Gesetzeswerken leiten lassen, wenn wir nicht wissen, von welchem, und wenn diese Gesetzeswerke nicht einmal miteinander vereinbar sind?


UNO-Resolutionen

Eine weitere Idee, die etwas mit dem Völkerrecht zu tun hat, fällt uns ein. Man kann davon ausgehen, dass das Völkerrecht mehr als die Konventionen, Prinzipien, Präzedenzfälle, Verträge und Gewohnheitsrechte beinhaltet. Es hat sich eingebürgert, die von den Vereinten Nationen erlassenen Resolutionen als Teil, sogar als einen grundlegenden Teil, des Völkerrechts einzustufen. Die Frage nach der Legitimität unseres Krieges von 2003 in Irak wurde hauptsächlich im Hinblick auf solche Resolutionen diskutiert. Noch vielversprechender ist es, die Resolutionen zu Palästina heranzuziehen. Zumindest bestand darüber mehr Einigkeit. Und sie können davon ausgehen, dass Palästina wichtig ist, weil es eine Rolle für unsere drei anderen Einzelthemen spielt.

Seit dem Erweiterungskrieg von 1967 war Israel Gegenstand von rund 65 Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Es gab Resolutionen gegen das Projekt, sich mehr palästinensisches Land anzueignen, als Israel ursprünglich im Jahr 1948 erhalten hatte – das Projekt des Neo-Zionismus. Es gibt zweifellos gute Gründe, zwischen diesem Projekt und der Gründung und fortgesetzten Verteidigung und Rechtfertigung der Existenz Israels in seinen ursprünglichen Grenzen zu unterscheiden, wie wir es bereits getan haben und wie es die Welt auf vielerlei Weise tut. Es gibt auch einen guten Grund, zum Zwecke unserer Untersuchung dem Kind einen Namen zu geben und das Letztere als Zionismus zu bezeichnen, welche Verbindungen und Kontinuitäten auch immer zwischen dem Zionismus und dem Neo-Zionismus nach dieser Definition bestehen.

Die Resolutionen verurteilten, rügten, beklagten oder bedauerten die Aktionen und die Politik des Neo-Zionismus und forderten ihre Beendigung. In den Resolutionen ging es um die Besetzung von immer noch mehr palästinensischem Land, um Tötungen, Massaker, Rassismus, Vertreibung von Palästinensern, die dadurch zu Flüchtlingen wurden, die Zerstörung ihrer Häuser, die Beanspruchung ihres Wassers, die Einrichtung jüdischer Siedlungen, Verhaftungen, Deportationen, Schikanen und andere Verletzungen der sogenannten Menschenrechte.

Diese Resolutionen wurden fast ausnahmslos durch Mehrheiten zwischen zehn zu eins und vierzehn zu eins vom Sicherheitsrat gebilligt, dem insgesamt fünfzehn Nationen angehören. Diese überwältigenden Mehrheiten wurden unter anderen von vier ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, nämlich China, Frankreich, Russland und Großbritannien mitgetragen. Dazu kamen noch viele Nationen, die eine temporäre Mitgliedschaft im Sicherheitsrat innehatten.

Die einzige abweichende Stimme zugunsten Israels, die der USA, war ein Veto. Dadurch hörten die Resolutionen als Verurteilungen oder was auch immer nicht auf zu existieren – wie könnte es bei einer Mehrheit von vierzehn zu eins anders sein? – aber infolge der Charta der Vereinten Nationen, dem Gründungsdokument der Organisation, blieben sie ohne bindende Wirkung. Die Resolutionen führten zu keiner Aktion der Vereinten Nationen. Das gleiche passierte aufgrund der Verfassung mit den meisten Resolutionen der Generalversammlung gegen den Neo-Zionismus.
Es hat keine solchen Resolutionen der Vereinten Nationen gegen die Palästinenser gegeben. Kurz gesagt bedeutet das, dass die Vereinten Nationen durchwegs den Neo-Zionismus verurteilt haben, nicht aber die Palästinenser. Aber sie wurden durch ihre Verfassung, oder besser gesagt, durch die Benutzung der Verfassung durch die Vereinigten Staaten, daran gehindert, effektive Maßnahmen zu ergreifen.

Es ist unmöglich, die Frage nach Recht und Unrecht in Palästina zu untersuchen, ohne diese Resolutionen als Beispiele menschlichen Urteilens zu beachten. Es handelt sich um ein so gut wie einstimmiges Urteil von einer großen Zahl von Nationen, ein Urteil von Menschen, die man mit gutem Recht als Repräsentanten der menschlichen Rasse bezeichnen kann. Diese Tatsache ist gewiss von solcher Bedeutung, dass dadurch alle gegen sie angeführten Einwände widerlegt werden.

Wie bereits gesagt, sind manche Teile des Völkerrechts ohne Zweifel eine Art akzeptierter Moral. Dazu gehören mit Sicherheit die Resolutionen gegen den Neo-Zionismus, von denen hier die Rede ist. Wenn man davon ausgeht, dass sie Israel zum Paria machen, was der Fall ist, kann man sie nicht einfach nur als einen Teil der Gesetzgebung betrachten.

Aber auch wenn wir hier unserem Thema, der Frage nach Recht und Unrecht, erheblich näher kommen, und wenn manche vielleicht glauben, dass der Neo-Zionismus prima facie ein Unrecht ist, weil ein dahingehender internationaler Konsens besteht, so ist das noch lange nicht das Ende der Geschichte. Es bleibt die Tatsache bestehen, dass manche die Resolutionen für falsch halten. Einfache Amerikaner sind dieser Meinung. Es gibt auch Amerikaner mit doppelter Loyalität, Amerikaner, die Neo-Zionisten sind. Sie glauben oder behaupten, die Resolutionen gegen den Neo-Zionismus seien einseitig, zeugten von doppelter Moral und Blindheit, seien ein Ausdruck internationaler Politik und natürlich von Antisemitismus. Einen wahren Moralphilosophen, selbst einen amerikanischen, kann dieser Umstand allerdings kaum beirren. Aber dass diese Menschen so etwas behaupten können, weist auf etwas anderes hin.

Wir müssen im Gedächtnis behalten, dass das, was legal ist, selbst dann, wenn nicht eindeutig feststellbar ist, ob es legal oder moralisch ist, im Grunde genommen eben doch nicht mehr als legal ist. Außerdem wiegt die Legalität der Mehrheit von vierzehn Stimmen gegen eine nicht schwerer als die Legalität des Vetorechts der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Auch eine Tatsache, von der Sie in Kürze noch mehr hören werden, zwingt uns zur Zurückhaltung. Eine UNO-Resolution führte zu dem internationalen Embargo, das auch für Medikamente galt und zum Tod vieler Kinder in Irak führte. Wenn man die UNO-Resolutionen selektiv betrachtet, wird klar, dass der Wert eines Teils davon als Argument erheblich geringer sein muss.

Noch bedeutender ist Folgendes: Die meisten Leser dieses Buches, darunter viele tapfere Israelis und viele Juden in anderen Ländern, die an der wunderbaren jüdischen Tradition moralischer und politischer Empfindung und Stärke teilhaben, einem exemplarischen Realismus, werden von der Existenz der Resolutionen des Sicherheitsrats betroffen sein oder waren es vermutlich schon länger. Ein Philosoph, der nicht mehr als betroffen auf die Resolutionen reagiert, ist ein parteiischer Philosoph oder Schlimmeres. Tatsächlich sind die Resolutionen so etwas wie moralische Daten, wenn nicht eine von mehreren bedeutenderen Arten. Aber sie erfordern zumindest eine gewisse Klarstellung, eine Klarstellung, die vielleicht auch einfache und andere Amerikaner zum Nachdenken bringen könnte.

Auf welcher moralischen Grundlage oder auf welchen Grundlagen beruhen die Resolutionen gegen den Neo-Zionismus? Haben sie eine einheitliche Grundlage, die zeigt, dass sie auf einer Linie mit anderen Resolutionen liegen – und mit dem Fehlen gewisser anderer Resolutionen? Haben sie eine Grundlage, aus der eindeutig hervorgeht, warum es keine Resolutionen gegen den palästinensischen Terrorismus gibt? Wie sieht das fundamentale Prinzip aus, das ihren Wert ausmacht – und den Wert dessen, was sie empfehlen? Oder, wenn Sie so mögen, in welche Kategorie von Vorstellung, Ansicht oder Vision von dem, was Recht und Unrecht ist, fallen sie? In welche Vorstellung davon, wie das menschliche Zusammenleben aussehen sollte, fallen sie?

Die Resolutionen an sich beantworten diese Frage nicht. Sie beantworten sie trotz ihrer moralischen Implikationen nicht, auch wenn diese Implikationen beeindruckend sind. Sie sind weit davon entfernt, eine vollständige Untersuchung über Recht und Unrecht in Palästina darzustellen. Sie sind weit davon entfernt, eine vollständige und systematische Antwort auf unsere Frage zu geben, eine Antwort, die die Überzeugungskraft der Logik hat. Sie sind keine Antwort, die ein Volk, selbst ein unwissendes und der Selbsttäuschung verfallenes Volk, nicht problemlos beiseite schieben könnte. Selbst wenn das amerikanische Volk als Ganzes plötzlich ausreichend informiert und damit in die Lage versetzt würde, mit dem Denken anzufangen, würde es sich vermutlich nicht mit den Resolutionen aufhalten.

Was den 11. September, den Krieg in Irak und den 7. Juli betrifft, so ist die Situation nicht anders. Dass Ihre Gefühle bezüglich aller drei Ereignisse, oder vielleicht auch nur in Bezug auf zwei davon, erheblich stärker oder vielleicht sogar überwältigend sind, macht diese Fälle an sich im Hinblick auf unsere Frage nicht anders. UNO-Resolutionen geben uns keine Antworten auf die Frage nach Recht und Unrecht.


Die Menschenrechte

Sollen wir versuchen, mit Hilfe eines anderen Dokuments der Vereinten Nationen vorzugehen? Sollen wir uns an die Menschenrechte halten, an die vielleicht wichtigste existierende Charta der Menschenrechte? Das ist die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 1948 angenommene und verkündete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder UN-Menschenrechtscharta.

Sie garantiert für jedermann Leben, Freiheit und persönliche Sicherheit. Auch die Freiheit von Furcht für jedermann. Jeder von uns soll auch die Freiheit der Bewegung haben und sein eigenes Land oder Territorium jederzeit verlassen und wieder betreten können. Es soll kein Exil geben. Jedermann soll das Recht auf eine Nationalität haben und nicht willkürlich seines Besitzes beraubt werden dürfen. Jedermann soll einen Lebensstandard haben, der für seine Gesundheit und sein Wohlbefinden ausreichend ist. Es darf keine Diskriminierung und keinen Angriff auf die Ehre und die Reputation eines Menschen geben. Es darf keinen Rassismus geben.

Die Deklaration enthält auch allgemeinere Vorschriften. Eine davon betrifft ein Problem, das bei jeder Gesetzessammlung auftritt, das Problem eines Konflikts einander widersprechender Ansprüche in Bezug auf die Rechte oder tatsächlich widersprüchlicher Rechte. Was passiert im Fall eines Konflikts zwischen meiner Sicherheit und Ihrer Freiheit von Angst und dergleichen mehr? Die Deklaration sagt dazu Folgendes:

In der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten soll jedermann nur solchen Beschränkungen unterworfen sein, die vom Gesetz ausschließlich zum Zweck der Sicherung der angemessenen Anerkennung und des Respekts für die Rechte und Freiheiten anderer unter Einhaltung der berechtigten Anforderungen bezüglich der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft festgelegt worden sind.

Eine weitere allgemeine Bestimmung der Deklaration muss bedacht werden: In einem nicht zufälligerweise viel diskutierten Nebensatz, der mit sofern beginnt, gestattet sie Abweichungen von den gesetzlichen Bestimmungen für den Fall einer Rebellion:

… es ist von ausschlaggebender Bedeutung, sofern die Menschen nicht als letztes Mittel zur Rebellion gegen Tyrannei und Unterdrückung gezwungen sind, dass die Menschenrechte durch Rechtsstaatlichkeit geschützt werden …

Man kann argumentieren, dass das Recht auf Rebellion dadurch eine zusätzliche Rechtfertigung erfährt, dass es in der Welt etwas nicht gibt, das in einer weiteren allgemeinen Bestimmung verlangt wird, nämlich eine soziale und internationale Ordnung, durch die alle in der Deklaration geforderten Rechte und Freiheiten                           tatsächlich durchgesetzt werden.
Es gibt noch eine weitere allgemeine Bestimmung, die wir beachten sollten, in diesem Fall eine Bestimmung der Charta der Vereinten Nationen. Darin ist von Territorien die Rede, deren Bevölkerung das Recht auf Selbstregierung noch nicht in vollem Umfang erhalten hat. Darin heißt es:

Die Interessen der Einwohner dieser Territorien sind von ausschlaggebender Bedeutung.

Solche Territorien müssen von den Vereinten Nationen bei der Entwicklung ihrer Selbstregierung oder Unabhängigkeit unterstützt werden. Die Interessen derjenigen, die die Territorien verwalten oder annektieren wollen, sind nicht ausschlaggebend.

Ohne Zweifel waren und sind die Erklärung der Menschenrechte und die Charta der Vereinten Nationen alles in allem nützlich, insbesondere für viele der Opfer dieser Welt. Ebenso wie die UNO-Resolutionen können beide nicht einfach ignoriert werden, gleichgültig wie oft sie in eigennütziger Weise benutzt worden sind. Man könnte von ihnen ausgehen, um zu einer Antwort auf unsere Fragen über Palästina, Irak und den Terrorismus zu kommen. Aber sind sie auch der beste Ausgangspunkt? Wie viel Raum für einen Anfang bieten sie?

Es besteht ausreichende Klarheit darüber, was Menschenrechte sind. Offensichtlich haben sie einiges mit ihrem historischen Vorgänger, dem sogenannten Naturrecht gemein. Die Menschenrechte sind Ursprung und Rechtfertigung nationaler und internationaler Gesetzestexte, also des positiven Rechts, wie es in einem Nationalstaat oder von Nationalstaaten niedergeschrieben, beschlossen und ratifiziert worden ist. Vor allem sind die Menschenrechte Ursprung und Rechtfertigung legaler Rechte. Auf sie kann man sich berufen, wenn man nationales und sogar internationales Recht und die darin enthaltenen legalen Rechte beurteilen oder verändern will. Kurz gesagt, die Menschenrechte sind moralische Rechte oder bestimmte moralische Rechte. Wir können also sicher sein, dass wir uns nicht auf der falschen Fährte befinden.
Und was ist ein moralisches Recht auf etwas? Wenn jemand ein gesetzlich verankertes Recht auf etwas hat, bedeutet das, dass derjenige sich auf die Untermauerung oder die Legitimation durch nationales oder internationales Recht berufen kann, jedenfalls in dem Ausmaß, in dem das Letztere existiert. Wenn jemand ein moralisches Recht auf etwas hat, hat er eine andere Art von Untermauerung oder Legitimation der Berechtigung seines Anspruchs. Offensichtlich wird sein Anspruch in diesem Fall durch ein moralisches Prinzip untermauert, ein Prinzip, das fundamental, bindend, unabweisbar, berechtigt, allgemein anerkannt und dergleichen mehr ist. Das bedeutet, zumindest implizit, dass die betreffende Person die moralische Unterstützung anderer, oder wenigstens einiger anderer Menschen hat. Dieser Gesichtspunkt bezüglich moralischer Rechte wird auch noch in anderem Zusammenhang oder anderen Zusammenhängen von Bedeutung sein.
Wenn man von der Liste der Menschenrechte in der Charta ausgeht, vom Recht auf Leben über das Recht auf eine Nationalität bis hin zum Recht auf seine Reputation, beruft man sich nicht auf einen Sack, dessen Inhalt ein heilloses Durcheinander von Rechten ist, wie manchmal behauptet wird. Aber offensichtlich handelt es sich um einen Sack mit sehr unterschiedlichen Rechten. Es ist nur allzu verständlich, wenn Sie fragen, was der Sack selbst für ein Ding sei. Was haben diese Rechte miteinander gemein? Was verbindet sie? Was kann man zusammenfassend über sie sagen? Man kann die Deklaration von der Präambel bis zum Ende durchlesen, ohne eine Antwort auf diese Frage zu bekommen.

Es kann nicht sein, dass nichts diese Rechte miteinander verbindet, dass sie nichts miteinander gemein haben. Wir hätten ein sehr viel besseres Verständnis dieser Rechte, wenn wir eine Antwort auf diese Frage hätten, wenn wir eine Vorstellung von ihrer Rangordnung hätten. Sie können nicht alle das gleiche Gewicht haben. Ihr Leben ist doch sicher wichtiger als meine Reputation? Wenn wir eine Zusammenfassung hätten, könnten wir auch herausfinden, was man den aufgelisteten Rechten noch hinzufügen könnte und was nicht. Übrigens werden keinerlei Frauenrechte erwähnt. Nirgends wird gesagt, dass sie die gleichen Rechte haben wie die Männer.

Damit verwandte, jedoch noch schwierigere Probleme treten auf, wenn wir versuchen, unsere Fragen nach Palästina, dem 11. September, dem Krieg in Irak, dem 7. Juli usw. mithilfe der Deklaration zu lösen. Etwas wie ein Prinzip wäre nicht nur erhellend und könnte als Leitfaden dienen, es ist ganz einfach notwendig. Das hat mit der bereits erwähnten Tatsache zu tun, dass Ansprüche auf Rechte und sogar die Rechte selbst miteinander in Konflikt stehen können.

Im ersten von uns zitierten Absatz heißt es, dass die Menschen diejenigen Rechte und Freiheiten haben sollen, die mit den Rechten und Freiheiten anderer vereinbar sind. Was für Rechte sind das? Diese Frage ist von fundamentaler Bedeutung. Wir erhalten keine Antwort, nicht die Spur einer Antwort. Wir befinden uns hier im Herzen der Moralphilosophie und der politischen Philosophie, ja sogar der Moral und der Politik selbst, und was wir in der Charta vorfinden, ist ein großes Loch. Die nackte Bezugnahme im gleichen Absatz auf die Moral hilft auch nicht weiter. Was für eine Moral? Auch die Hinweise auf das Allgemeinwohl und die öffentliche Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft sind wenig hilfreich. Was für eine demokratische Gesellschaft soll das sein?

Sind Sie der Meinung, dass wir kein Prinzip brauchen, um die Frage nach Palästina mithilfe der Deklaration zu lösen? Einige tollkühne Philosophen haben behauptet, dass es keine moralischen Prinzipien gibt, aber schließlich findet man immer einen Philosophen, der das gesagt hat was einem gerade einfällt. Lassen wir das. Glauben Sie, dass wir zu einer halbwegs passablen Vorstellung von einem Prinzip gelangen können, wenn wir die erwähnten Rechte und Freiheiten zusammenzählen, angefangen mit dem Recht auf Leben? Bitte sehr, machen wir uns diese Idee zueigen.

Die Palästinenser glauben mit Sicherheit, ebenso wie ein Großteil des Restes der Welt, dass die Deklaration sie in ihrem Kampf gegen den Neo-Zionismus unterstützt. Diese Annahme scheint mir ganz offensichtlich richtig zu sein. Man kann sagen, dass sie sich im Einklang mit dem Geist der Deklaration befindet. Manche Palästinenser glauben vielleicht auch, dass sie ein Prinzip erarbeiten könnten, das ihnen hilft und den Bestimmungen der Deklaration über Rechte eine allgemeingültige Bedeutung gibt. Dagegen steht jedoch die Tatsache, dass die Neo-Zionisten vom Gegenteil überzeugt sind, oder dies jedenfalls behaupten.

Auch bezüglich des Krieges in Irak gibt es widersprüchliche Beurteilungen. Manche sagen, es sei ein Krieg für die Menschenrechte gewesen, und zwar für die Rechte der Iraker. Auch über den 11. September und den 7. Juli besteht keine vollständige Einigkeit. Die Tatsache, dass wir diese Anschläge für monströs halten, bedeutet nicht, dass sie aus der Welt der Argumente verbannt worden sind, der Welt, in der Argumente dafür und dagegen gehört werden. Das, lieber Leser, ist die Welt in der wir uns befinden.

Gibt es keinen überzeugenderen Weg, den man einschlagen kann, vielleicht einen Weg, an dessen Ende der Neo-Zionismus weniger glaubwürdig ist und weniger leicht propagiert werden kann? Ebenso unglaubwürdig wie die Verteidiger der Terroranschläge und vielleicht des Irak-Krieges? Es muss betont werden, dass das moralische Prinzip kein Zauberstab ist. Es wird die Dinge nicht einfach machen, kein Licht ins Dunkel bringen und nicht sämtliche Probleme lösen. Aber es wird sehr hilfreich sein und vieles bewirken.

Schließlich ist es annähernd wahr, dass Verallgemeinerungen, die von vielen so verachtet werden, das Wesen aller Untersuchungen sind, der Stoff, aus dem Wissenschaft gemacht ist, das Wesen der Intelligenz. Man erkennt Recht und Unrecht in einem bestimmten Fall, indem man ihn mit anderen vergleicht. Und man wird sich nicht nur auf eine Ansammlung von Einzelheiten abstützen müssen, sondern auf das, was man daraus geschlossen hat.

Ein weiterer Punkt in der Deklaration muss erwähnt werden – die bereits zitierte allgemeine Bestimmung über Tyrannei und Unterdrückung, worunter wir ethnische Säuberungen und noch einiges mehr zu verstehen haben. Was darin zugestanden wird – besonders relevant für unser Thema – ist, dass Menschen gezwungen sein können, auf bewaffneten Widerstand und dergleichen zurückzugreifen, als letztes Mittel sogar auf Tötungen. Was ist unter diesem großen Zugeständnis zu verstehen?
Selbstverständlich ist damit nicht gemeint, dass die fraglichen Personen von anderen mit vorgehaltener Schusswaffe zu etwas gezwungen werden. Es ist nicht gemeint, dass man ebenso wenig Spielraum für eine Entscheidung hat, wie wenn einem tatsächlich jemand eine Schusswaffe an den Kopf hält oder wenn man sich unter einem echten psychologischen Zwang befindet. Was damit gemeint ist und gemeint sein muss ist, dass die fraglichen Personen einen zwingenden Grund haben, bewaffneten Widerstand zu leisten. Es geht hier also um einen Grund und nicht nur um eine Sache.

Was ist das für ein Grund? Wie alle Gründe wird es ein allgemein akzeptierter Grund sein. Oder, wenn Sie mutig annehmen, dass der fragliche Grund klar erkennbar ist, in welcher Hinsicht ist er dann zwingend? Was macht diesen Grund stichhaltiger als andere? Man muss bedenken, dass die Palästinenser behaupten, einen zwingenden Grund für ihren Terrorismus zu haben, und dass die Neo-Zionisten dies bestreiten. Ebenso unterschiedliche Auffassungen gibt es auch im Hinblick auf den Krieg in Irak und auf die terroristischen Schrecknisse vom 11. September und vom 7. Juli. All diese Vertreter unterschiedlicher Auffassungen und auch wir müssen etwas anderes tun, um effektiv über unser Thema nachdenken zu können.

Wie Sie bereits wissen, müssen wir zu einer allgemeingültigen Sichtweise, einer Verallgemeinerung zu Recht und Unrecht kommen, einer Verallgemeinerung, die auch etwas beinhaltet, von dem bisher noch nicht die Rede war, jedenfalls noch nicht explizit. Wenn man darüber nachdenkt, was eigentlich passieren sollte, kann man nicht nur über ein Ziel nachdenken, sondern auch darüber, wie man es erreichen kann und was über gewisse Mittel zu sagen ist. Wenn man unter Verwendung des Völkerrechts als Maßstab, Prinzip usw. darüber nachdenkt, was passieren sollte, geht man von einer bestimmten Voraussetzung aus, nämlich der, dass das Ziel, das wir erreichen wollen, sozusagen mit konventionellen Mitteln, also mit Hilfe des Gesetzes erreicht werden muss. Hier stellt sich die Frage, welche Vorzüge dies im Vergleich zu alternativen Möglichkeiten hat. Muss man trotz des Abschnitts über die Rebellion von einer ähnlichen legalistischen Voraussetzung ausgehen, wenn man anhand der UNO-Resolutionen und der Menschenrechte über Palästina nachdenkt?

Eine umfassendere Antwort auf unsere Frage muss allgemeingültige Forderungen bezüglich erlaubter und unzulässiger Mittel zum Erreichen eine Ziels enthalten, über allgemeine politische Methoden und Praktiken. Die Antwort wird notwendigerweise einige Argumente für und wieder die einen und die anderen enthalten. Sie wird sich nicht auf die Legalität und dergleichen der Rebellion beschränken, sondern sich mit Mitteln zum Wohlbefinden befassen.


Die Theorie vom gerechten Krieg

Sie werden von der Theorie vom gerechten Krieg in einer guten Zeitung gelesen oder von einer Kanzel gehört haben. Das Thema wurde anlässlich des Kriegs in Irak zur Sprache gebracht, wie es anlässlich fast aller Kriege diskutiert worden ist.

Die Theorie hat ihre Wurzeln in der mittelalterlichen katholischen Kirche. Der Philosoph Augustinus war einer ihrer Begründer. In der philosophischen Fakultät der Universität von Notre Dame wird immer noch daran gefeilt. Auch in der philosophischen Fakultät der Universität von Haifa wird an Teilen davon gearbeitet, wenn auch mit einer ganz anderen Zielsetzung. Man sollte sie deshalb einfach als eine Theorie vom gerechten Krieg bezeichnen, weil es keine allgemein akzeptierte und klar definierte Theorie gibt, die man als die Theorie vom gerechten Krieg bezeichnen könnte. Es gibt eine Ansammlung von Ideen, denen von unterschiedlichen Leuten und Traditionen unterschiedliche Bedeutungen unterlegt und unterschiedliches Gewicht beigemessen wird.

Ein gerechter Krieg im beabsichtigten Sinn ist offensichtlich ein gerechtfertigter Krieg, ein guter Krieg, den zu führen kein Unrecht ist, vielleicht auch ein Krieg, den nicht zu führen ein Unrecht wäre. Die Bezeichnung „gerecht“ mit ihren gesetzlichen Assoziationen verwischt das ein wenig, aus welchem Grund und aus welchem Motiv auch immer. Aber zweifellos handelt es sich nicht einfach um einen irgendwie legalen Krieg. Was uns hier versprochen wird ist eine Antwort auf die Frage, welche Kriege kein Unrecht sind und vom Völkerrecht gestattet oder gefordert werden sollten. Es ist vorstellbar, dass ein gerechter Krieg gegen irgendeine Bestimmung des Völkerrechts verstoßen könnte.

Die Theorie vom gerechten Krieg unterscheidet traditionell zwischen den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um einen Krieg zu beginnen, und den Bedingungen, die bei der Kriegsführung erfüllt sein müssen. Wir brauchen diese Unterscheidung nicht zu beachten. Sie ist künstlich, zum Teil deswegen, weil im Fall einer Entscheidung, einen berechtigten Krieg zu führen, auch bedacht werden muss, wie man ihn führen soll. Die Vorstellung von der Proportionalität zwischen einer Handlung und dem damit zu erreichenden Gewinn taucht sowohl im empfohlenen Denken über den gesamten in Aussicht genommenen Krieg als auch im Denken über mögliche Aktionen oder Operationen bei der Durchführung des Krieges auf, wie zum Beispiel über die im zweiten Weltkrieg über deutschen Städten abgeworfenen Bombenteppiche.

Ein gerechter Krieg ist ein Krieg, der (1.) einer gerechten Sache dient. Selbstverteidigung im einfachen Sinn wird oft als derartiger Zweck oder derartige Absicht genannt. Selbstverteidigung in diesem Sinne bedeutet, dass man zuerst tatsächlich angegriffen worden sein muss. Diese Art von Selbstverteidigung ist die Antwort auf die Aggression eines anderen, der mit Panzern über Ihre Grenzen rollt oder Sie mit Raketen beschießt. Die gerechte Sache kann in diesem Fall auch der Wunsch nach Frieden sein. Neuerdings wird in der Theorie vom gerechten Krieg auch etwas ganz anderes als gerechte Sache angeführt – die Verteidigung der Menschenrechte oder die Verteidigung eines menschenwürdigen Lebens. Ein Krieg mit einem solchen Zweck oder einer solchen Absicht kann von Ihnen begonnen werden. Technisch gesehen können Sie der Aggressor sein.

Ein gerechter Krieg muss (2.) die Wahrscheinlichkeit eröffnen, dass der Zweck auch erreicht wird. Dafür muss eine vernünftige Chance bestehen. Der Krieg darf nicht hoffnungslos sein. Er darf nicht als sinnloses Leid erscheinen.

Er muss (3.) von der richtigen Gruppe oder Person geführt werden. Ursprünglich war dies auf Nationalstaaten bzw. ihre Regierungen beschränkt. Heute erscheint es jedoch auch vorstellbar, dass die richtigen Gruppe oder Personen eine Widerstandsbewegung oder ein Aufstand oder ihre jeweiligen Anführer sind. In jüngerer Zeit war es die Anti-Apartheid-Bewegung, die diese Änderung erforderlich machte.

Je nach Ihrem Verständnis von Terrorismus besteht also die Möglichkeit, dass Terrorismus oder Terroristen einen gerechten Krieg führen oder wenigstens gerechtfertigten Terrorismus ausüben. Anscheinend haben wir es hier, zumindest bis zu einer weiteren Klärung, mit einer Theorie des gerechten Krieges und möglicherweise des gerechten Terrorismus zutun. Vielleicht gehören auch die palästinensischen Selbstmordattentate und die Terroranschläge vom 11. September und dem 7. Juli dieser Kategorie an. 

Um die Frage nach einer Definition des Terrorismus zu umgehen, auf die wir später zurückkommen werden, wollen wir zunächst dabei bleiben, über Krieg im gewöhnlichen Sinn nachzudenken und zu reden. Ein gerechter Krieg und alle damit verbundenen Aktionen müssen wie gesagt (4.) verhältnismäßig sein. Wenn man ihn als Mittel betrachtet, muss der Krieg in seiner Gesamtheit in einem vernünftigen Verhältnis zu dem Ziel stehen, das damit erreicht werden soll. Das Mittel darf in gewissem Sinn nicht zu kostspielig, zu exzessiv sein. Das gleiche gilt für die Aktionen, Operationen und Taktiken im Krieg.

Der Krieg darf (5.) nicht zur Tötung von unschuldigen, nicht am Kampf beteiligten Personen oder ähnlichen Folgen führen.

Ferner muss er (6.) das letzte Mittel sein. Er darf nur geführt werden, wenn sich alle friedlichen Mittel zur Beilegung des Konflikts als unwirksam erwiesen haben.

Zu all dem muss hinzugefügt werden, dass ein typischer gerechter Krieg (7.) in guter Absicht geführt werden muss und keinem anderen Zweck als der gerechten Sache dienen soll.

Diese kurze Schilderung der Theorie vom gerechten Krieg überzeugt Sie vielleicht davon, dass es zweckmäßig wäre, mit dieser Theorie zu beginnen, wenn man über Palästina, den Krieg in Irak und vielleicht auch den 11. September und den 7. Juli nachdenken will. Ich stimme Ihnen zu. Allerdings würden Sie in diesem Fall mit einer ganzen Kollektion von Problemen anfangen. Vielleicht ist es nicht übertrieben, wenn ich sage, dass Sie mit einem wüsten Haufen von Problemen anfangen würden.

Was die Forderung Nummer 1 betrifft, der gerechten Sache, stellt sich die Frage, ob die Idee der Selbstverteidigung im einfachen Sinn so erweitert werden muss, dass sie auch präventive Selbstverteidigung umfasst. Einige Denker haben eine solche Erweiterung befürwortet, und in jüngster Zeit wurde sie von zwei Denkern, nämlich unseren Staatsoberhäuptern, im Zusammenhang mit dem Krieg in Irak vertreten. Wo ist in einem solchen Fall die Trennungslinie zwischen präventiver Selbstverteidigung und normaler Aggression? Und weil irgendeine Linie immer gezogen werden kann, was wäre die Rechtfertigung für gerade diese Linie? Und wo in der Theorie vom gerechten Krieg finden wir diese Rechtfertigung?

Das ist aber nicht das einzige Problem mit den heutigen Vorstellungen von einer gerechten Sache. Wir haben bereits davon geredet, dass ein gerechter Kriegsgrund auch etwas anderes sein kann als einfache oder präventive Selbstverteidigung. Eine gerechte Sache kann auch einen nicht präventiven Angriff rechtfertigen, einen Angriff, der von der Gegenseite zu Recht als Aggression bezeichnet werden kann. Ein Beispiel könnte ein Angriff zur Wahrung der Menschenrechte in einem Fall sein, in dem diese auf andere Weise als durch einen Krieg verletzt werden. Eine gerechte Sache könnte ein Angriff sein, durch den ethnische Säuberung verhindert werden soll, vielleicht auch ein Angriff zur Verteidigung einer bestimmten Lebensweise. Könnte eine gerechte Sache ein heiliger Krieg sein? Sie werden mir beipflichten, dass wir über diese Dinge noch sehr viel mehr erfahren müssen.

Weil nicht alle Lebensweisen es wert sind, verteidigt zu werden, brauchen wir zudem auch noch eine allgemeingültige Methode zur Beurteilung von Lebensweisen. Das gleiche gilt für Konflikte oder scheinbare Konflikte zwischen Menschenrechten.
Kommen wir zur Forderung Nummer 2. Es ist sicher vernünftig, zunächst einmal zu sagen, dass ein Krieg nicht umsonst sein soll. Es geht hier um etwas Fundamentales. Können Männer oder eine Armee für die Zukunft kämpfen, ohne hoffen zu können, selbst am Leben zu bleiben? Das ist keine unbekannte Situation, und so etwas wurde auch niemals verachtet. Solche Männer wurden als Helden verehrt und nicht für verrückt gehalten. So etwas könnte sich wiederholen.

Was ist über die Forderung Nummer 3 zu sagen, dass der Krieg von den richtigen Personen geführt werden muss? Stellt sich vielleicht heraus, dass dies in Wirklichkeit etwas anderes ist, nämlich die Notwendigkeit, einer bestimmten Sache zu dienen? Wenn wir den entscheidenden Schritt tun, uns von der ursprünglichen Forderung zu entfernen, dass die richtigen Personen auf Nationalstaaten beschränkt sein müssen, kommen wir anscheinend zu diesem Schluss bezüglich einer gerechte Sache. Vielleicht sind die richtigen Personen Menschen, die nicht nach privatem Gewinn trachten und nicht auf etwas abzielen, das dem Gewinn eines Wirtschaftsunternehmens entspricht? Aber trifft es zu, dass jede von den Staatsoberhäuptern vertretene Sache, die von der Öffentlichkeit unterstützt wird, auch gut ist? Würde das auch für die Befreiung eines Volkes von einer Minderheit gelten, die von seiner politischen Führung als Dreck bezeichnet wird? Auch hier brauchen wir also eine Beschreibung gerechter Anliegen.

Wenn im Punkt 4 gesagt wird, dass etwas im richtigen Verhältnis zu etwas anderem stehen, also proportional sein muss, inwiefern soll es dann proportional sein? Es wäre freundlich, die Idee auszuschließen, die in manchen Fällen bezüglich der Theorie vom gerechten Krieg geäußert wird, dass der Krieg oder die Operation proportional zur Schuld der anderen Seite sein muss. Wie bei einer proportional vernünftigen oder verdienten Strafe hat es den Anschein, dass der Krieg oder die Operation, bei der der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, für richtig gehalten werden könnte. Das würde bedeuten, dass Argumente für die Rechtmäßigkeit eines solchen Krieges nur im Kreis herum führen, dass das, was bewiesen werden soll, bereits feststeht.
Bringt es uns weiter, wenn wir bezüglich der Verhältnismäßigkeit untersuchen, welche Menschenrechte durch den Krieg verletzt werden – die Menschenrechte, die mit anderen im Konflikt stehen und zwischen denen wir in Ermangelung eines Maßstabs nicht entscheiden können? Ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, wenn 100.000 Kriegstote der Aussicht auf den American way of life für ein anderes Volk gegenüberstehen? Wenn diese Frage Sie beunruhigt oder Sie Ihrem Leitfaden gegenüber misstrauisch macht, kann ich  Ihnen auch weniger krasse Fragen stellen. Selbstverständlich brauchen wir irgendein Prinzip oder eine Methode, wenn wir zwei Dinge vergleichen und auf ihre Proportionalität untersuchen wollen. Was meinen Sie, ist es ohne ein solches Prinzip möglich diese Doktrin weiterhin anzuwenden?

Zur Forderung Nummer 5 stellt sich die Frage, wer die Unschuldigen sind. Vermutlich Kinder, aber wer sonst noch? Was bedeutet Unschuld? Sind alle nicht am Kampf Beteiligten unschuldig? Alle Zivilisten? Auf welche Weise soll ein Krieg nicht zur Tötung von Unschuldigen führen? Könnte ein gerechter Krieg ein Krieg sein, bei dessen Führung eine vernünftige oder wohlbegründete Voraussage oder Erwartung besteht oder Wahrscheinlichkeitsberechnung durchgeführt wird, dass keine Unschuldigen getötet werden? Einen solchen Krieg hat es noch nie gegeben. Weder der erste noch der zweite Weltkrieg waren in diesem Sinn gerechte Kriege.

Die Forderung Nummer 6, dass es keine Alternative zu einem Krieg geben darf, lässt offensichtlich sehr viel Spielraum zum Nachdenken. Auch die Schwierigkeit, dies zu beurteilen gibt Anlass zu intensivem Nachdenken. Auf der einen Seite des Konfliktes kann eine Industrie stehen, die Unwahrheiten über Alternativen in der Vergangenheit verbreitet, die die andere Seite bei Verhandlungen nicht akzeptiert habe, wobei die Verhandlungen der ersten Seite echte Verhandlungen gewesen seien und keine falschen oder vorgeschützten. Aber lassen wir das beiseite. Müssen wir vielleicht mit dieser Schwierigkeit leben? Müssen wir die Notwendigkeit akzeptieren, unter undurchsichtigen Bedingungen zu urteilen?

Zuletzt müssen wir fragen, ob ein Krieg aufhört, gerechtfertigt zu sein, wenn sich herausstellt, dass er (7.) mit der falschen Absicht begonnen wurde. Sollen wir eine Armee, die gerade dabei ist, 100.000 oder 1.000.000 Menschenleben zu retten, nicht unterstützen, weil ihre Kommandeure und ihre Regierung unsaubere Absichten verfolgen, vielleicht unsaubere Absichten mit vorhersehbar schlimmen Konsequenzen, die jedoch angesichts der Rettung so vieler Menschenleben kaum zählen?

In die Theorie vom gerechten Krieg wurden sehr viel Verstand und Scharfsinn investiert. Sie rechtfertigt weder alle Kriege, die nicht als Verstoß gegen das Völkerrecht gelten, noch verurteilt sie notwendigerweise alle Kriege, die unter Missachtung des Völkerrechts geführt werden. Sie geht über jeden Legalismus hinaus. Sie wirft natürliche Fragen auf, die niemand umgehen kann. Im weiteren Verlauf dieser Untersuchung, werden wir ihr besondere Aufmerksamkeit widmen. Wir werden z.B. auf das Töten von Unschuldigen und die Notwendigkeit zurückkommen, ein Urteil zu fällen.

Die mit der Theorie vom gerechten Krieg verbundenen Schwierigkeiten können auf bestimmte Weise zusammengefasst werden. An welche Richtlinien sollen wir uns halten, um die Fragen zu beantworten, die im Zusammenhang mit den Anforderungen (1)-(7) an einen gerechten Krieg aufkommen? Wir brauchen eine Richtlinie und damit Folgerichtigkeit und Unparteilichkeit, keine momentanen Intuitionen. Wenn die Anforderungen bei näherem Hinsehen in unterschiedliche Richtungen weisen, was tatsächlich der Fall sein kann, und wir sie berichtigen oder weiterentwickeln müssen, um für Folgerichtigkeit zu sorgen, mit welchen Mitteln sollen wir das tun?

Ein fundamentales Prinzip ist unbedingt notwendig, jedenfalls irgendetwas in dieser Richtung. Vielleicht haben die Theoretiker des gerechten Krieges versucht, die vielen Fragen zu beantworten, die die Theorie aufwirft, vielleicht sogar die Fragen, auf die wir gerade hingewiesen haben. Ich habe nichts darüber gehört, dass sie sie umgestaltet hätten, indem sie ihr eine Grundlage gegeben hätten, die nicht als Teil ihrer Geschichte bekannt ist. 

Eine fundamentale Begründung ist auch noch für etwas anderes notwendig. Wie sonst sollen wir zwischen einander widersprechenden aber zumindest teilweise überzeugenden Forderungen der vier Quellen, nämlich des Völkerrechts und der Forderung nach Verhandlungen, der UNO-Resolutionen, der Menschenrechte und der Theorie vom gerechten Krieg eine Auswahl treffen? Wenn man ohne eine solche Begründung nur einzelne Themen herauspickt und miteinander vermischt, hat man weder sich selbst noch sonst jemandem etwas Informatives zugunsten der einen oder der anderen Sammlung von Vorschriften zu sagen.


Realpolitik

Einige amerikanische, englische und sonstige Professoren und Studierende der internationalen Beziehungen urteilen nach wie vor abfällig über die Theorie vom gerechten Krieg, die Konventionen, Verträge und was weiß ich noch des Völkerrechts, die UNO-Resolutionen und die Menschenrechte. In der Vergangenheit rühmten sich viele, ein schärferes Auge für die Natur der Welt der Nationen zu haben. Diese Haltung wird von zahlreichen Politikern, Diplomaten und Geschäftsführern großer Konzerne geteilt. Sie nehmen für sich in Anspruch, etwas zu sehen, von dem sie glauben, dass andere es infolge ihrer mangelnden Weltklugheit, ihrer Ahnungslosigkeit und ihrer Hoffnungen nicht wahrhaben wollen.

Um es deutlich auszusprechen, sie ersetzen die oben genannten Quellen durch die zynische oder vielleicht auch naive Behauptung, dass jeder Mensch und jede Gruppe ausschließlich von Selbstsucht und Eigennutz geleitet wird. Vielleicht fügen sie sinngemäß noch hinzu, dass Völkerrecht, Menschenrechte usw. einiges für sich haben, oder dass einiges dafür spricht, nicht zu versuchen, seine Zugehörigkeit zur menschlichen Rasse zu leugnen. Im gleichen Atemzug äußern sie sich vermutlich abfällig oder verunglimpfend über reine Werturteile, Subjektivität, gefühlsbetonte Bedeutungen, die Relativität der Moral und Dinge, die für Sie vielleicht wahr sein können, aber … und dergleichen.

Folglich hören wir, dass wir uns als Nationen an das zu halten haben, was man in der Vergangenheit als Realpolitik bezeichnet hat. Sie wurde lange mit Bismarck in Verbindung gebracht, Deutschlands eisernem Kanzler gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Sie wird häufig als Politik definiert, die auf realistischen und praktischen Erwägungen basiert und nicht auf moralischen oder ideologischen Überlegungen oder Rücksichten auf die Menschenrechte oder was auch immer. Sie ist kalkulierte Eigensucht. Sie ist auch Missachtung ausgesprochener oder scheinbarer Positionen der Gegenseite und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung und zum Krieg, höchst wahrscheinlich völkerrechtswidrigem Krieg.

Sie ist nicht leicht von der Machtpolitik zu unterscheiden, von der Beurteilung seiner Gegenspieler ausschließlich nach ihrer Macht und der Beachtung ihrer Forderungen und Situationen nur in dem Ausmaß, in dem sie mit Macht verbunden sind. Sie geht weit über die vertretbare moralische Vorstellung hinaus, dass eine Person, ein Land oder ein Volk sich bis zu einem gewissen Grad um sich selbst kümmern und für sich selbst sorgen kann, wie andere es auch tun – hier haben wir wieder diese nützliche Arbeitsteilung.

Über all dies ist in erster Linie zu sagen, dass niemand verhindern kann, selbst zum Objekt einer moralischen Beurteilung zu werden, nur weil er oder sie versucht, sich nicht von moralischen Vorstellungen leiten zu lassen – und damit durchkommt. Ebenso wenig gelingt dies einer Gruppe oder einer Nation. Ferner hört keine Person und keine Nation auf, Objekt moralischer Beurteilungen zu sein, nur weil ein anderer, wie z.B. ein Heer von Akademikern, sagt, sie seien es nicht.

Erstens sind moralische Beurteilungen einer beliebigen Person oder Gruppe im Wesentlichen Gedanken und Gefühle, die diese Person oder Gruppe betreffen. Sie führen zu einer Art von Billigung vielleicht eines Zwecks oder Ziels und eines vorgeschlagenen Mittels, mit dessen Hilfe es erreicht werden kann, vielleicht aber auch nur des Zwecks oder Ziels, aber definitiv nicht eines vorgeschlagenen Mittels. Die Gedanken und Gefühle lösen sich nicht in Luft auf, weil sie der betreffenden Person oder Gruppe nicht gefallen oder das Leben von jemandem erleichtern, der eben diese Person oder Gruppe untersucht. Eine Seite unseres Leben und mehr als das, vielleicht die Grundlage unseres Lebens, hört nicht auf, zu existieren.

Aber da ist noch etwas anderes. Wir, zumindest die überwiegende Mehrzahl von uns, haben in unseren Beziehungen zum Rest der Welt nicht ausschließlich unsere eigenen Interessen im Auge. Hungersnöte, Tsunamis und überflutete Städte berühren uns wirklich. Auch unsere Regierungen sind nicht immer nur selbstsüchtig gewesen. Dies zu leugnen hieße anzunehmen, dass kein Krieg jemals aus anderen Gründen als denen geführt worden sind, die gemeinhin als Reingewinn bezeichnet werden – in diesem Fall nationaler Profit oder Verlust, oder, was noch wahrscheinlicher ist, der Profit oder Verlust eines Teils der Nation, nämlich des führenden Teils.

Einer der Gedankengänge des politischen Realismus und unseres ganzen Zeitalters ist die vereinfachende Annahme, dass es einerseits Ereignisse und andererseits ihre Anlässe gibt. Ein Streichholz flammt auf, und es wurde an der Zündfläche gerieben. Es zeugt von geradezu verrückter Achtlosigkeit, zu glauben, dass die großen menschlichen Ereignisse einen einzigen Grund haben oder auf einer einzigen Bedingung beruhen. Das ist ebenso verrückt, wie zu glauben, dass Trockenheit und Sauerstoff etwas mit dem Entzünden des Streichholzes zutun haben. Natürlich spielt Selbstsucht bei der Erklärung oder den kausalen Zusammenhängen der Beziehungen einer Nation zum Rest der Welt eine Rolle. Aber natürlich ist sie nicht das einzige. Lesen die noch verbliebenen Realisten unter den Wissenschaftlern denn keine Bücher, die nicht in den Bibliotheken ihrer eigenen Fakultät stehen?

Die Aussage, dass wir in unserer Selbstsucht nicht einfach sind, ist eine allgemeine und fundamentale Tatsache. Als Spezies sind wir in einem gewissen, minimalen Sinn rational. Das bedeutet, dass wir Gründe für das haben, was wir tun – gute oder schlechte Gründe oder Gründe, die weder das eine noch das andere sind. Gründe sind von Natur aus allgemeingültig. Wenn G ein Grund ist, etwas in einer bestimmten Situation zu tun, ist es auch ein Grund, das gleiche in jeder anderen identischen Situation zu tun, und was noch wichtiger ist, es ist in ähnlichen aber nicht identischen Situationen ebenfalls von Bedeutung oder hat eine einschränkende Wirkung. Wir sind einander aber auch noch in einer anderen Hinsicht ähnlich: Wir haben fundamentale Sehnsüchte miteinander gemein. Diese beiden Fakten machen einen großen Teil dessen aus, was uns zu einer Spezies macht. Die beiden Fakten bezüglich Gründen und Sehnsüchten, von denen später noch einmal die Rede sein wird, binden jeden von uns auf gewisse Weise und in gewissem Maß an andere.

Sind Sie zufällig der Meinung, dass man immer einen Grund finden kann, der ausschließlich dem Eigeninteresse oder dem Interesse der eigenen Nation dient und einen zu nichts anderem verpflichtet? Natürlich kann ich keinen Grund für etwas, das gemacht wird oder warum etwas gemacht werden sollte einfach dadurch konstruieren, dass ich sage „Weil ich das sage!“ oder „Weil Amerika das sagt!“. Das hat beunruhigende Konsequenzen für derartige Aussprüche von anderen. So etwas kann man auch in Irak, in Palästina oder in Saudi Arabien sagen. So etwas hätte man auch in den Straßen von Leeds sagen können, als die Bombenattentate vom 7. Juli auf die U-Bahnzüge in London geplant wurden.

Ferner würde es auch nichts nützen, wenn es möglich wäre, einen sogenannten Grund ohne solche Konsequenzen zu finden. Wir können falsche Gründe durchschauen. Wir wissen bereits, was für Gründe andere Personen oder Gruppen tatsächlich haben. Wir erkennen es, wenn ihre Gründe nicht das sind, was sie behaupten, wenn es ihnen in Wirklichkeit um ihre Sehnsüchte geht, die sie mit dem Rest der Welt gemein haben.

Aber es geht nicht nur darum, dass Personen, Völker und Staaten sich einer moralischen Beurteilung nicht dadurch entziehen können, dass sie selbst nicht von moralischen Grundsätzen geleitet werden, dass wir zumindest ein begrenztes Mitgefühl für andere aufbringen, dass keine normalen Personen oder Völker den allgemeinen Konsequenzen ihrer Gründe entgehen können und dass diese Tatsache unsere Natur als Spezies ausmacht.

Selbst wenn wir Staatsoberhäupter hätten, die so dumm, gefühllos, kaltschnäuzig oder bösartig sind, dass sie sich der Zugehörigkeit zu einer Spezies entziehen können, gibt es noch einen weiteren Umstand, der sie daran hindert, sich dessen zu bedienen, was zunächst als Real- oder Machtpolitik erscheint. Die Real- und Machtpolitik erscheint auf den ersten Blick als Missachtung von Anstand und Moral, besonders in einer Hinsicht, von der Sie noch hören werden. Tatsächlich wäre es aber selbstzerstörerisch für unsere politischen Führer, so gefühllos sie auch sein mögen, wenn sie jede Moralvorstellung ignorieren würden.

Manchmal wäre es ganz einfach unvernünftig, dies zu tun, und in einem anderen und gewöhnlicheren Sinn wäre es kein effektives Mittel zum Zweck, das es wert wäre, sich seiner zu bedienen. Es wäre kein geeignetes Mittel für den ganz und gar eigensüchtigen Zweck des politischen Realisten. Moralische Gesichtspunkte zu ignorieren ruft Widerstand, Opposition und Angriffe hervor, vielleicht sogar Krieg oder Terrorismus. Manchmal dient anständiges Handeln, so unmoralisch die Absicht auch sein mag, dem eigensüchtigen Interesse eines Landes am besten.

Abgesehen von allem anderen muss also der Realpolitiker, ebenso wie wir, wissen, was anständiges Handeln ist, jedenfalls wenn in dieser Hinsicht Einigkeit und eine gewisse Übereinstimmung besteht, was klar ersichtlich der Fall ist. Selbst der absolute und uneingeschränkte Realpolitiker kann sich nicht außerhalb jeder Moralvorstellung bewegen. Er muss wissen, was Recht und was Unrecht ist, was nicht bedeutet, dass er dies für die Moralvorstellung seiner eigenen Nation hält. Das wäre ihm in diesem Zusammenhang nicht von Nutzen.

Was damit gemeint ist, kann bei der Untersuchung des inoffiziellen Terrorismus gezeigt werden, der einfach als normaler Terrorismus im Gegensatz zu offiziellem oder Staatsterrorismus bezeichnet wird. Von dieser Unterscheidung wird noch die Rede sein. Die New Labour Party in Großbritannien hat sich in ihrem ersten Regierungsjahr 1997 häufig des Slogans „Hart gegen die Kriminalität, hart gegen die Ursachen der Kriminalität“ bedient. Damit fasste sie ihre Politik zur Jugendkriminalität, einfachem Diebstahl und dergleichen zusammen.

Nach dem 11. September hörte man nichts mehr von diesem Slogan, zweifellos in Erwartung einer Entgegnung zur richtigen Politik gegenüber dem Terrorismus – hart gegen den Terrorismus, hart gegen die Ursachen des Terrorismus. Aber selbst unsere schweigenden demokratischen Politiker haben erkannt, dass wir über die Ursachen des Terrorismus nachdenken müssen. Das bedeutet, dass man sich mit der Frage nach Anstand und Recht auseinandersetzen muss. Das ist auch dann nicht zu umgehen, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass kein Terrorismus jemals in irgendeiner Weise gerechtfertigt war.

Noch eine Überlegung, die in eine ähnliche Richtung führt. Man kann davon ausgehen, dass Realpolitik von Anfang an inkonsequent ist. Sie gesteht dem Eigeninteresse anderer in gewissem Sinn keine Legitimität zu. Aber dann kommt die minimale Rationalität oder die Rationalität der Spezies ins Spiel – die Tatsache, dass wir Gründe haben und dass diese allgemeingültig sind. So kann ein amerikanischer Politiker feststellen, dass er scheinbar den Chilenen, den Russen oder auch den Irakern verpflichtet ist, die ebenfalls nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Die amerikanische Realpolitik wird dann um einen moralischen oder ethischen Gesichtspunkt erweitert, damit sie sich konsequent von der Realpolitik anderer Völker unterscheidet. Das ist nicht leicht.

Oder der amerikanische Politiker stellt die sehr viel einfachere These auf, dass alle Menschen, alle Länder und alle Völker eine eigensüchtige Realpolitik betreiben. Also sei es fair und richtig, wenn Amerika das Gleiche tut. Gegen diese angeblich faire Realpolitik kann unter anderem vorgebracht werden, dass nicht alle Beteiligten das Geld oder die Macht haben, ihrem Eigeninteresse in gleichem Maß Geltung zu verschaffen, dass die faire Realpolitik in Wirklichkeit unfair, ja sogar in monströser Weise unfair ist. Darin sind wir uns fast alle einig. Der wichtigste Punkt ist aber auch hier, dass selbst der Realpolitiker wissen muss, was Anstand ist. Irgendwie muss er sich bei seinen eigensüchtigen Zusätzen zu seiner Realpolitik davon leiten lassen. Diesem Thema kann er sich eben sowenig entziehen wie die Leute, die Bücher über ihn schreiben.
 

Konservativismus und Liberalismus

Wir können über einen weiteren Schritt in Richtung auf das nachdenken, was uns vielleicht als Realismus dargestellt werden kann. Die Fragen nach Recht und Unrecht sind der Stoff, aus dem die Real- oder sonstige Politik besteht, mit der wir alle leben müssen – mit den großen politischen Traditionen. Eine wichtige solche Tradition ist der Konservativismus, eine weitere der Liberalismus. Die Politiker der Parteien, die diesen Traditionen angehören, lassen uns oft genug wissen, dass etwas gerecht oder rechtmäßig ist. Manchmal benutzen sie dabei eben diese Wörter, häufiger aber ein Synonym, dass mit weniger großer Wahrscheinlichkeit Widerspruch hervorruft. So lassen sie uns wissen, dass im Hinblick auf Palästina etwas Recht oder Unrecht sei. Besonders oft hören wir auch das Wort böse.

Wenden wir uns zunächst der Tradition des Konservativismus zu, um festzustellen, ob wir etwas finden, das uns zu begründeten Antworten auf die Fragen zu Palästina, dem 11. September, dem Krieg in Irak und dem 7. Juli verhelfen kann. Wir werden vor allem nach Hilfe zur Beantwortung von allgemeinen Fragen suchen, denen wir nachgehen. Was wir suchen sind Antworten, die sich auf die Logik der Philosophie abstützen können – auf Klarheit, Folgerichtigkeit, Aussagekraft und Allgemeingültigkeit. Vielleicht auch auf Skepsis anstelle von Leichtgläubigkeit.

Was wir suchen werden schwerlich Erklärungen sein, die in den Tagesnachrichten vorkommen, auch nicht das, worauf die englischen Journalisten ständig lauern, die große Idee der Zeit. Wir müssen nach den verkündeten oder auch nicht verkündeten Beurteilungsprinzipien suchen, auf die die Tradition des Konservativismus sich abstützt und die wir vielleicht benutzen können. Wir können auch nach dem Prinzip des Konservativismus suchen, das man auch als sein Grundprinzip oder seine beste Zusammenfassung bezeichnen könnte. So etwas muss es doch geben.

Der Konservativismus ist die politische Tradition, die in Großbritannien von der Konservativen Partei und in den USA von der Republikanischen Partei repräsentiert wird. Ist sie als die politische Tradition zu verstehen, die gegen Veränderungen aber für Reformen ist?

Das wurde im achtzehnten Jahrhundert von dem Parlamentarier Edmund Burke behauptet, dem Autor der Reflections on the Revolution in France.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass selbst der willensstarke Burke es versäumte, jemals zu erklären, was er unter einer eindeutigen Unterscheidung verstand, wie er jenes Manifest so tapfer und zweifellos mit starker innerer Beteiligung bezeichnete. Es kann sich nicht um den Unterschied zwischen großen und kleinen Veränderungen handeln, weil der Konservativismus im Laufe seiner Geschichte große Veränderungen befürwortet hat und noch heute befürwortet, manchmal Veränderungen von ganzen Gesellschaften wie z.B. der irakischen. Es gibt eine Art von Konservativismus, die die ganze Welt verändern will.

Es wird oft gesagt, dass die konservative politische Tradition sich dadurch auszeichnet, dass sie gegen das Theoretisieren und für Experimente ist. Burke ließ sich gute Sätze gegen die Theoretiker des Naturrechts und sonstiges einfallen – jenes halbe Dutzend Grashüpfer unter einem Farn, die die ganze Wiese mit ihrem lästigen Gezirpe erfüllen, während Tausende von großen Rindern wiederkäuend im Schatten der englischen Eichen liegen und schweigen. Burke erhielt tatkräftige Unterstützung von dem Amerikaner John Adams, der die Aufmerksamkeit auf das lenkte, was man neuerdings als Ideologie bezeichnete. Er meinte, dass die vertrauteren Worte Idiotie und Idiotismus nicht ausreichten, um ihren wahren Charakter zu beschreiben.

Eine der Schwierigkeiten besteht in diesem Fall darin, dass die Tradition des Konservativismus, die eine ziemlich intelligente Tradition ist, tatsächlich ziemlich voll von Theorie ist. Große Teile der Theorie sind Erklärungsversuche, die wir alle schätzen und brauchen. Ein Teil der konservativen Theorie beschäftigt sich mit den internationalen Beziehungen, und wiederum davon ein Teil ist der politische Realismus oder die Realpolitik, die wir bereits betrachtet haben. Vielleicht erinnern Sie sich auch noch daran, von der brillanten Soziologie des Dritten Weges gehört zu haben. Diese war die unsichere Leitlinie der New-Labour-Regierungen in Großbritannien, von denen man notgedrungen sagen musste, dass sie eigentlich konservativ waren.

Um auf etwas anderes zurückzukommen, ist der Konservativismus durch ein Prinzip der Ablehnung gewaltsamer Veränderungen wie Revolutionen, Revolten, Terrorismus und dergleichen und natürlich der dazugehörigen Theorien gekennzeichnet? Wenn das so ist und diese Denkart allgemeingültig und gut entwickelt ist, ist es vorstellbar, dass wir von einem wohlbegründeten Argument für die Verurteilung des palästinensischen Terrorismus profitieren können.

Aber der Konservativismus kann unmöglich ein solches Argument liefern. Seine Vertreter haben selbst Revolutionen bewundert, unterstützt, bezahlt und, nicht einmal besonders verdeckt, an Revolutionen teilgenommen. Sie haben sich für Revolutionen gegen die Französische und die Russische Revolution ausgesprochen. Sie waren für die Revolten gegen die Demokratien in Chile und Nikaragua. Sie waren in unzähligen Fällen dafür, auf politische Gewalt zurückzugreifen. Je nachdem, wie Sie Terrorismus definieren, haben sie sich erschreckend oft für Terrorismus eingesetzt. Dass über diese Tatsache berichtet werden muss, ist ein Triumph der Übereinkunft und der nützlichen Unwissenheit in unseren Gesellschaften, beides bedeutende Tatsachen, die manchen in unseren Gesellschaften außerordentlich nützlich sind, gleichgültig ob sie sie selbst herbeiführen oder nicht.

Eine Untersuchung dessen, was den Konservativismus angeblich oder tatsächlich ausmacht, führt nicht so ohne Weiteres zu Erkenntnissen über sein Grundprinzip. Woran liegt es, dass der Konservativismus manche Veränderungen, manche Theorien, manche Revolutionen usw. befürwortet und andere nicht? Auch in anderen Differenzierungen ist kein Grundprinzip erkennbar, so z.B. in der Begeisterung für manche Freiheiten, die mit dem Privateigentum zutun haben, und der Ablehnung anderer, die mit mehr Demokratie oder der Möglichkeit zutun haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Es kann nicht sein, dass das Grundprinzip des Konservativismus ein Prinzip des Verdienstes ist, dass die Menschen das haben oder bekommen sollen, was sie verdienen, was in sich zusammenbrechen und zu einem Prinzip unerklärter Rechtmäßigkeit werden würde, das jedermann auf jeder Seite eines Disputs nach Gutdünken benutzen könnte.

Sie, lieber Leser, können sich nun nicht sofort der vertrauten Vorstellung zuwenden, dass der Konservativismus die Politik des Eigeninteresses sei. Eigeninteresse taucht in allen politischen Traditionen, Parteien, Bewegungen und Kämpfen auf. Neo-Zionisten und Palästinenser sind auch nicht ohne Eigeninteresse. Was über den Konservativismus gesagt werden kann, ist etwas anderes. Das Urteil zu dem man zumindest über die Republikanische Partei in den Vereinigten Staaten und schließlich auch über die New Labour Party in Großbritannien kommen muss, besagt etwas anderes. Der Konservativismus ist die Politik, die von nichts anderem als vom Eigeninteresse geleitet wird, welche moralischen oder moralistischen Reden auch immer damit verbunden sein mögen. Er beruht auf keinem erkennbaren moralischen Prinzip.

Und so kann er uns bei der Beantwortung unserer Fragen auch nicht weiterhelfen. Vielleicht können wir eine erfolgversprechende Idee in diesem Eigeninteresse finden, warum der Konservativismus insgesamt den Gegnern der Palästinenser positiver gegenübersteht als den Palästinensern. Wir können eine Erklärung dafür finden. Aber wir bekommen keine Antwort auf die Frage, warum wir uns dieser Haltung des Konservativismus anschließen sollten, keinen allgemeingültigen Grund, dies zu tun.
Die Beurteilung des Konservativismus als nichts als eine Klasse oder Klassen von Leuten, die für sich selbst sorgen, wird übrigens in dramatischer Weise bestätigt, wenn wir einen Blick auf seinen vormaligen leiten Philosophen, Robert Nozick von der Harvard Universität werfen. Die vollkommen gerechte oder moralisch ideale Gesellschaft, erklärte er, ist eine Gesellschaft, in der alle guten Dinge eine bestimmte Geschichte haben. Sie haben eine Geschichte, die bestimmte Anforderungen erfüllen muss.

Stellen Sie sich ein Appartement in Cambridge, Massachusetts vor, vielleicht in der Nähe der Harvard-Universität. Irgendwelche Leute haben es geschafft, die ersten Besitzer des Appartements zu sein. Wenn sie heute nicht mehr die rechtmäßigen Besitzer sind, haben sie es verkauft oder an jemand anderen weitergegeben, der vielleicht eine lange Kette solcher Übereignungen in Gang gesetzt hat. Wenn im Laufe dieses Prozesses jemand durch Besetzung oder durch Betrug in den Besitz der Wohnung gelangt ist, wurde das irgendwie berichtigt – es wurde dafür gesorgt, dass die Dinge wieder so sind, wie sie gewesen wären, wenn die ersten beiden Anforderungen respektiert worden wären.

Warum ist eine Gesellschaft, in der alles so ist, vollkommen gerecht? Die Antwort, die wir darauf erhalten, lautet kurz und bündig, dass das der persönlichen Freiheit entspricht. Was ist das? Offensichtlich ist das, was jemand als persönliche oder andere Freiheit verteidigt, eine Freiheit, von der angenommen wird, dass wir sie haben sollten, eine Freiheit, die für gerechtfertigt gehalten wird. Wodurch in dieser Philosophie wird sie gerechtfertigt? Es wird nicht einmal versucht, diese Frage zu beantworten. Wir haben keinerlei Vorstellung, warum das Besetzen eines Apartments oder das Überführen in öffentlichen Besitz nicht gerechtfertigt sein sollte, keinerlei Vorstellung von irgendetwas, das das Eigeninteresse oder die Eigensucht einiger von uns rechtfertigt.

Sie sollten übrigens nicht vergessen, dass in dieser vollkommen gerechten und moralisch idealen Gesellschaft, in der jeder Besitz den historischen Anforderungen entspricht, eine unglückliche Familie verhungern könnte. Niemand und nichts hätte die moralische Verpflichtung, sie zu retten. Sie hätten keinen moralischen Anspruch auf Nahrung. Die einzigen moralischen Verpflichtungen und Rechte in dieser moralisch idealen Gesellschaft werden dadurch festgelegt, wer der legale Besitzer von was ist.

Wir müssen uns weniger für die menschliche Rasse schämen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit von diesem Denken und Fühlen ab und dem Liberalismus zuwenden. Er gilt als breite Tradition im politischen Zentrum, jedoch eine Tradition mit einem großen Bruch. Als Politik der Mitte hat sie viel mit individuellen Rechten zu tun. Diese Rechte können private Eigentumsrechte sein, die den Konservativen noch mehr am Herzen liegen, oder es können anerkannte Ansprüche auf die lebensnotwendigen Dinge sein, vielleicht im Rahmen eines sozialen Netzes.

Wie beim Konservativismus finden wir hier eine Kollektion von Ideen und Standpunkten, bei denen es sich in erster Linie um das Leben in der einen oder anderen unserer wohlhabenden Gesellschaften dreht. Ist der Liberalismus, mehr noch als der Konservativismus, auf solche Themen beschränkt? Man sollte doch erwarten, dass man von einer der wichtigsten Ideologien der modernen Welt wenigstens irgendeine Erkenntnis zu Palästina erhalten könnte. Schließlich sind die Liberalen sehr überzeugt von der Vernünftigkeit ihrer Ideologie und nehmen für sich in Anspruch, menschlicher als der Konservativismus zu sein.

Der Liberalismus hat seinen Ursprung in einem Buch, On Liberty, das wir bereits erwähnt haben, weil darin die freie Äußerung aller Meinungen gefordert wird. In diesem viel gelesenen Buch versucht Stuart Mill eine einfache Antwort auf die Frage zu geben, wie die Freiheit des Individuums aussehen sollte – eine Antwort auf die Frage, in welchem Ausmaß ein Individuum weder gesetzlichen Zwängen einer Gesellschaft noch sozialem Druck in dieser Gesellschaft unterworfen sein sollte. Seine Antwort, oder besser gesagt, die Antwort, die er gab, als er die Frage zum ersten Mal beantwortete, lautet:

Der einzige Zweck, der es rechtfertigt, gegen seinen Willen Macht über ein Mitglied einer zivilisierten Gesellschaft auszuüben, ist, ihn daran zu hindern, anderen Schaden zuzufügen.

 Das ist ein Ton, der den Liberalismus vielen Menschen erstrebenswert erscheinen ließ. Dann kam es jedoch darauf an, was darunter verstanden wird, dass eine Person einer anderen Schaden zufügt. Kann ich Ihnen dadurch Schaden zufügen, dass ich mich weigere, ihrer Gewerkschaft beizutreten? Dass ich Ihre Kolonie von abscheulichen Kerlen aus meinem Wohnblock vertreiben will? Dass ich die Schule Ihres Viertels dadurch verschlechtere, dass ich meine Kinder in eine Privatschule schicke? Dass ich eine rassistische Demonstration vor Ihrer Moschee organisiere? Dass ich Ihre Kunden dazu aufrufe, ihren Supermarkt zu boykottieren, weil er neo-zionistische Verbindungen hat?

Manche sagen, dass Mill, als er davon sprach, A daran zu hindern, B zu schädigen, lediglich daran dachte, dass A die gesetzlichen Rechte von B schädigen könnte. Das würde die unangenehme Folge haben, dass in einer Gesellschaft, deren Gesetze die Sklaverei oder die Folter gestatten, kein Sklavenbesitzer oder Folterer mit einer rechtmäßigen und gerechtfertigten Einmischung von Seiten des Staates und der Gesellschaft rechnen müsste. Das hat auch die Folge, dass wir zu keinem irgendwie gearteten Prinzip kommen, sondern nur zu sehr unterschiedlichen und nutzlosen Hinweisen bezüglich unterschiedlicher Gesellschaften und Rechtssysteme.

Vielfach wurde auch die Meinung vertreten, dass A nach Mills Verständnis B dann einen Schaden zufügt, wenn er das größtmögliche Glück der größtmöglichen Anzahl gefährdet, das moralische Prinzip und die politische Philosophie des Utilitarismus. Nun hat Mill dem Utilitarismus, in den er hineingeboren war, jedoch selbst dieses Maß an klarer Bedeutung genommen. Er hat ihn emporgehoben und spiritualisiert. Trotz mehrfacher Versuche ist es ihm nie gelungen, zu erklären, unter welchen Umständen man annehmen kann, dass A B einen Schaden zufügt und daher mit gutem Recht daran gehindert oder was auch immer werden darf.

John Rawls war die Stimme des Liberalismus oder zumindest einer Form des Liberalismus des zwanzigsten Jahrhunderts. In seinem Werk A Theorie of Justice (Eine Theorie der Gerechtigkeit) bekräftigt er zunächst des langen und des breiten das Prinzip der individuellen Rechte oder Freiheiten, einschließlich der Rechte, die sich auf den Privatbesitz beziehen. Dieses Prinzip sollte Vorrang vor einem zweiten Prinzip haben, dem der Chancengleichheit. Und das zweite Prinzip sollte Vorrang vor einem dritten haben, nämlich dem Prinzip, dass in einer Gesellschaft eine irgendwie geartete sozio-ökonomische Ungleichheit herrschen muss, die entweder nicht vorhanden oder so ausgeprägt sein muss, dass die ärmste Klasse besser daran ist, als sie es ohne diese Ungleichheit wäre.

In seiner Theory of Justice lässt Rawls die Frage nach der Natur der Freiheiten notorisch offen. In seinen späteren Schriften werden zwar die Freiheiten klarer definiert, aber ihr Grundprinzip bleibt ungewiss. Sein drittes Prinzip, dem mehr Aufmerksamkeit gewidmet wurde als den beiden anderen, lässt es vollkommen offen, welche Ungleichheiten notwendig sind, um das fragliche Ziel zu erreichen, nämlich dass die ärmste Klasse besser daran ist als sie es ohne die Ungleichheiten wäre. Es bleibt sogar offen, ob mit „notwendig“ vielleicht die Ungleichheiten gemeint sind, „die von der wohlhabendsten Schicht in Amerika gefordert wird.“

Es bleibt unklar, was der Liberalismus tatsächlich bewirkt, und, was noch wichtiger ist, es bleibt noch unklarer, worauf der Liberalismus beruht. Wie sieht das Prinzip aus, dass wir vielleicht in unsere Überlegungen über die palästinensische Frage mit hineintragen könnten? Beschränkt sich der Liberalismus auf vage gute Absichten, die nicht in Definitionen und Entschlüsse umgesetzt wurden? Gute Absichten in Fesseln? Was für gute Absichten? Das Prinzip kann übrigens nicht das sein, was der Liberalismus mit verschiedenen politischen Traditionen gemein hat und nicht auf ihn beschränkt ist, nämlich eine Art von Bekenntnis zur Demokratie. Der Letzteren werden wir in Kürze unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

Um noch ein bisschen beim Liberalismus zu bleiben, können wir, selbst wenn Mill und Rawls und weniger bedeutende Autoren uns nicht direkt weiterhelfen, wenigstens ein Bekenntnis zur Freiheit als Leitfaden für unsere Untersuchungen mitnehmen? Die Antwort ist ein allgemeiner Gedanke zur Freiheit. Wenn man ernsthaft über die Freiheit nachdenkt und nicht nur Reden darüber hält, muss man sich fragen, was daran gut ist.

Wir Engländer, die von Eisenbahnzügen abhängen, um unsere Familien besuchen zu können, sind nicht besonders begeistert von der Freiheit des Eigentums, die zur Privatisierung unserer Eisenbahn geführt hat. Nozick mochte die sozialen Freiheiten nicht, die mit der normalen Besteuerung einhergingen, weil er diese Besteuerung als Zwangsarbeit betrachtete. Hitlers Befreiung Deutschlands von den Juden hatte nichts Gutes sondern nur grauenhaft Schlechtes an sich. Die Befreiung des Staates Israel von seinen palästinensischen Einwohnern oder die Befreiung der Israelis von den Auswirkungen palästinensischer Wählerstimmen hat ebenfalls nicht viel Gutes an sich.

Mit der Freiheit werden wir uns noch befassen, aber um beim Konservativismus und dem Liberalismus zu bleiben, so ist unser Ergebnis klar. Von diesen langlebigen Traditionen können wir keine Hilfe bei unserer Untersuchung erwarten. Vielleicht denken Sie jetzt, dass dies zu erwarten war, weil sich beide Traditionen in erster Linie  mit der Politik in einem bestimmten Land befassen. Ich stimme keiner der beiden Aussagen zu. Aber sofern Sie Recht haben, können wir wenigstens sicher sein, dass wir gesehen haben, in welchem Ausmaß Konservativismus und Liberalismus weder allgemein anwendbar noch relevant sind.

So können wir uns wenigstens in einem Punkt einigen. Entweder stellen wir fest, dass die beiden Traditionen von Bedeutung für unsere Fragen zu Palästina usw. sind, oder wir stellen fest, dass dies nicht der Fall ist. In keinem Fall führen sie zu einem brauchbaren Ergebnis. Im Fall der Annahme, dass sie relevant sind, ist diese Relevanz auch wieder nur eine Frage des Eigeninteresses oder etwas so Vages, dass es nicht zu gebrauchen ist.


Gleichheit in der Demokratie
 
Nach dem 11. September erklärten die demokratischen Staatsoberhäupter der USA und Großbritanniens, Bush und Blair, dass sie die große neue Tatsache in der Welt absolut klar erkannt hätten, wie so vieles andere auch. Gemeint war eine Art Krieg zwischen Gut und Böse, nämlich der Demokratie und dem Terrorismus. Aus dieser Darstellung eines manichäischen Konflikts zwischen Licht und Dunkel ließen sich verschiedene Aussagen über die Demokratie ableiten. Zwei davon reichen aus.

Die erste ist, dass in jedem Konflikt zwischen einem demokratischen Staat und Terroristen – Terroristen im üblichen Sinn – die Demokraten irgendwie im Recht sein müssen. Nicht notwendigerweise ganz und gar, aber doch im Großen und Ganzen. Obwohl die Demokraten auch Menschen töten, auch unschuldige Menschen und vielleicht sehr viel mehr als die Terroristen, ist das bei ihnen infolge der Tatsache, dass sie Demokraten sind, etwas anderes. Das gleiche gilt für die Beurteilung von Recht und Unrecht bei jedem Konflikt zwischen einem demokratischen und einem nicht-demokratischen oder weniger demokratischen Staat wie dem Irak.

Die zweite Aussage besteht darin, dass im Fall eines Konflikts zwischen irgendeinem Nationalstaat und Terroristen im üblichen Sinn oder zwischen irgendwelchen Nationalstaaten niemand besser beurteilen kann, was Recht und was Unrecht ist, als ein anderer demokratischer Staat, der selbst nicht an dem Konflikt beteiligt ist. Oder, um es anders und deutlicher auszudrücken, wir können davon ausgehen, dass ein unbeteiligter oder unparteiischer demokratischer Staat im Fall eines Konflikts mit Terroristen oder zwischen Staaten besser beurteilen kann, was zu geschehen hat, als jeder andere.

Demnach können wir also erkennen, was in Palästina Recht und Unrecht ist, indem wir uns an unsere eigene Demokratie halten – an die Parteiprogramme oder Manifeste, an Reden, Wahlen, Debatten, Konferenzen, an die Politik und die Gesetzgebung. Vermutlich vor allem an die Reden und die Politik zu den Themen Zionismus, Neo-Zionismus, palästinensischer Terrorismus, gegen uns selbst gerichteter Terrorismus, Einmarsch in Irak, eine neue Verfassung für Irak, die Fortsetzung des Kampfes gegen die widerstrebenden Iraker usw.

Diese Aussagen sind Aspekte dessen, was als umfassendste und größte Vorzüge der Demokratie eingestuft wird. Es gibt einen ganzen Wust von als Vorzüge gepriesenen Eigenschaften der Demokratie. Sie wird als das politische System gepriesen, dessen Bürger souverän sind, womit gesagt werden soll, sie seien frei und gleich in ihrer politischen Erfahrung, ihrer Beteiligung an der Politik oder Zustimmung zu dieser. Sie gilt als das System, in dem die größte Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Menschen von wirtschaftlichen Freiheiten profizieren, i.e. der freien Marktwirtschaft. Es wurde sogar behauptet, dass Demokratien mit großer Wahrscheinlichkeit überlegene Charaktere oder Persönlichkeiten hervorbringen. Es wird behauptet, dass Demokratien Probleme innerhalb ihrer eigenen Grenzen auf friedliche Weise lösen und dass sie weniger dazu neigen, Kriege zu beginnen. Aber was als größter Vorzug der Demokratie gilt, ein Vorzug, der alle anderen in sich vereinigt, ist etwas anderes.
Es ist die Eigenschaft, dass die Demokratie für alles und jedes auf allen Gebieten die richtige Lösung findet – in der Innen- und Außenpolitik, für private und staatliche Unternehmen, in der Steuer- und Gesundheitspolitik, bei Entscheidungen zu Krieg, Entwicklungshilfe und was auch immer. Oder, um sich, wie es üblich ist, schleunigst auf eine sicherere Position zurückzuziehen, sie findet bessere Lösungen als jede andere Staatsform. Sie findet bessere oder wenigstens weniger schlechte Lösungen und ist eher im Recht und weniger im Unrecht als Diktaturen, Militärdiktaturen, andere Oligarchien, unverhüllte oder offizielle Plutokratien, an die Macht gekommene Eliten jeder Art, soziale, gebildete oder intellektuelle Oberschichten, kirchliche Würdenträger, Theokratien oder exzessiv religiöse Staaten – und natürlich auch als die Anführer von Revolutionen, Putschen, Aufständen oder terroristischen Kämpfen, die auf andere Weise als durch demokratische Wahlen in unserem Sinn an die Macht gekommen sind.

Auf die Frage, warum die Demokratie bessere oder weniger schlechte Lösungen findet als all diese Alternativen, wurde kurz und bündig geantwortet, wenn es darum gehe, die richtige Entscheidung für eine Gesellschaft und andere Gesellschaften zu treffen, seien zwei Köpfe besser als einer und viele Köpfe noch besser. Wenn jeder das gleiche Stimmrecht hat und seine eigenen Erfahrungen frei in die Entscheidungen einbringen kann, kompensiert das die Schwächen anderer und führt zu den besten Ergebnissen. Dieses Ergebnis von Gleichheit und Freiheit, nicht zu verwechseln mit der Tatsache, dass die Bürger diese beiden Dinge genießen, ist der umfassendste und größte Vorzug der Demokratie.

Dies kann dann der Fall sein, wenn jedermann in einer Gesellschaft über breite Kenntnisse verfügt und daher zu wissensabhängigen Beurteilungen in der Lage ist. Es muss jedoch gesagt werden, dass man auf gewisse Schwierigkeiten stößt, wenn man bei allen Bürgern Wissen und Urteilsfähigkeit voraussetzen will. Um diese Schwierigkeiten zu erkennen, braucht man nur einen Blick auf die Zeitungen zu werfen, denen die meisten Bürger ihre Informationen entnehmen, z.B. die Sun in England oder die New York Post in Amerika, oder schauen Sie sich die Nachrichtensendungen der Sender in den kleinen Städten oder auch CNN an. Oft genug kann man sich auch über die BBC wundern. Aber es gibt noch eine andere mögliche Antwort auf die Frage, warum Demokratien die besseren Lösungen finden.

Die Tatsache, dass jeder oder zumindest viele Bürger die Möglichkeit haben, gehört zu werden, bedeutet noch nicht, dass gute Kenntnisse zu besseren Entscheidungen führen. Aber wenn alle oder zumindest viele Bürger gehört werden, wird dadurch zumindest garantiert, dass viele Bedürfnisse und Wünsche in die Entscheidungsprozesse einer Gesellschaft mit einbezogen werden. Jeder einzelne von den Vielen hat einen kleinen Effekt und steuert ein bisschen Information bei. Es werden Unmengen von Informationen beigesteuert. In anderen Systemen werden die Bedürfnisse aller nicht in gleicher Weise registriert. In anderen Systemen erhalten die Menschen keine solche Chance. Natürlich ist der Wert oder die Berechtigung der Wünsche problematisch, wenn es um andere Länder geht, deren Wünsche nicht in den Entscheidungsprozess einfließen. Aber lassen wir das beiseite.

Diesen kurzen Antworten auf die Frage, warum Demokratien zumindest weniger schlechte Lösungen finden, steht die umfassendere Erklärung gegenüber, die man als die traditionelle Beschreibung dieser Staatsform bezeichnen kann – und die selbst eine Abweichung von dem alten Irrtum ist, dass die Demokratie tatsächlich eine Regierung durch das Volk sei. In der traditionellen Beschreibung spielt, wie in anderen auch, die Idee der Freiheit und Gleichheit eine wichtige Rolle. Die Demokratie, so heißt es, sei die Herrschaft einer von allen Bürgern und nicht nur von wenigen oder einer einzelnen Klasse frei gewählten und frei beeinflussten Regierung. Hinzu kommen drei weitere Annahmen.

In einer Demokratie wählen angeblich die Bürger in freien, regelmäßigen Wahlen eine Regierung – die Personen, die die Regierung tatsächlich ausüben und über die Beziehungen des Landes mit anderen Ländern entscheiden. Und zwischen den Wahlen werden die Regierungen von den Bürgern frei beeinflusst. Bei der Wahl und bei der Beeinflussung der Regierung unterliegen die Bürger keinem Zwang und keiner Einschränkung. Diese Freiwilligkeit gilt sowohl für die Innenpolitik einer Gesellschaft als auch für ihre Außenbeziehungen, einschließlich der Entscheidungen über Krieg und Frieden.

Zweitens wird behauptet, dass bezüglich der Wahlen und der Einflussnahme in einer Demokratie alle Bürger gleich sind. Es gilt ein allgemeines Wahlrecht. Jede Stimme zählt als eine und keine Stimme zählt als mehr als eine. Dies wird als ebenso wichtiger Gesichtspunkt angeführt, wie die Tatsache, dass die Bürger frei von Diktatoren, Generälen, Priestern, Revolutionären und dergleichen sind.

Drittens sagt man uns, dass die Regierungen selbst ihre Entscheidungen anhand von freien und gleichen Mehrheitsbeschlüssen treffen. Und, wie man hinzufügen muss, sind ihre Beschlüsse effektiv. Sie werden nicht durch jemand anderen oder etwas anderes aufgehoben, wie z.B. durch internationale Großkonzerne. Die gewählten Repräsentanten in einer demokratischen Regierung könnten keine freien und gleichen Beschlüsse fassen, wenn sie nicht wirklich diejenigen Personen wären, die über die Dinge zu entscheiden haben.

Das ist die traditionelle dreiteilige Erklärung, warum Demokratien richtige oder weniger falsche Lösungen finden. Aber tatsächlich wird auf diese Erklärung kaum noch zurückgegriffen, außer von einigen Politikern in öffentlichen Ansprachen und von Zeitungs- und Fernsehkommentatoren, wenn sie nicht viel nachdenken. Selbst unsere Politiker geben, wenn sie gerade nicht im Dienst sind und Politik machen, zu, dass andere, aktuellere Beschreibungen der Demokratie den gegebenen Tatsachen besser gerecht werden und realistischer sind. Dabei geht es hauptsächlich um die Frage der Gleichheit.

Von modernen Denkern hören wir, dass es bei den Wahlen in einer Demokratie keine vollkommene Gleichheit gibt, die in etwa bedeuten würde, dass alle Bürger die gesetzliche Möglichkeit haben müssten, zu wählen – mehr Bürger als in Florida, wo genügend Bürgern das Wahlrecht verweigert wurde, um Bush den Wahlsieg für seine erste Amtszeit zu sichern. Ferner haben moderne Denker begriffen, dass unter den Bürgern bezüglich der Auswirkungen ihrer Stimmen keine vollkommene Gleichheit herrscht. 

Die Bürger erzielen nicht jeder die gleiche Wirkung, weil sich aus irgendeinem Grund bei weitem nicht alle an den Wahlen beteiligen, manchmal wählen nur etwa die Hälfte, und diejenigen, die zum Wählen gehen, haben mit Sicherheit nicht die gleichen Ansichten wie die, die das nicht tun. Eine weitere Folge der ungleichen Auswirkungen des Wahlsystems besteht, wie jedermann weiß, darin, dass die Partei, die eine demokratische Wahl gewinnt, im Ganzen gesehen mit weniger Stimmen gewählt werden kann als die Partei, die die Wahl verliert. Und demokratische Regierungen können in den Repräsentantenhäusern riesige Mehrheiten erzielen, auch wenn sie kaum mehr Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten als die Partei, die die Wahl verliert.

Diese Tatsachen über unsere Wahlen sind uns bestens bekannt, ja sogar ein bisschen langweilig. Aber sie sind noch etwas anderes. Sie sind gute Gründe, zumindest die traditionellen Vorstellungen von der Demokratie aufzugeben. Für sich alleine gesehen widerlegen sie jedenfalls die traditionelle Vorstellung von der Gleichheit - dass die Wähler mit ihren Stimmen eine jeweils gleichwertige Wahl treffen.  
Eine Tatsache ist jedoch noch sehr viel wichtiger als die Ungleichheit der Bürger bezüglich ihrer Wählerstimmen. Diese Tatsache betrifft die Beeinflussung der Regierungen zwischen den Wahlen und, was ebenso wichtig ist, die Beeinflussung dessen, was bei den Wahlen zur Wahl stehen wird. Die Frage der Beeinflussung spielt tatsächlich eine sehr viel größere Rolle, wenn man, wie wir es tun, darüber nachdenkt, warum Demokratien bessere Lösungen für Probleme finden und bessere Entscheidungen treffen als andere Regierungen.

Heute ist man im Gegensatz zum traditionellen Denken der Meinung, dass in unserer Demokratie infolge der unterschiedlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme und der anderen besprochenen Fakten keine vollständige Gleichheit oder keine ideale oder totale politische Gleichheit herrscht. Unsere Politiker und andere, die für die Information der Öffentlichkeit sorgen sollten, lassen es dabei, wenn sie gerade nicht im Dienst sind, und fühlen sich durch ihren neuen Realismus nicht besonders beunruhigt. Und sie erwarten auch nicht, dass die Öffentlichkeit sich dadurch beunruhigen lässt.

Sie irren sich bezüglich ihrer Qualifikation und des geringen Ausmaßes, in dem sie das traditionelle Denken revidieren. Um zu erkennen, warum das so ist, denken Sie zunächst einmal an etwas anderes, an eine gesetzliche Quote oder Einstellungspraxis, die das Zahlenverhältnis zwischen Männern und Frauen oder vielleicht auch zwischen Protestanten und Katholiken betrifft. Nehmen wir einmal an, diese Quote oder Eistellungspraxis sorgt dafür, dass Männer oder Protestanten nur eine 100-mal größere Chance haben dürfen, einen bestimmten Posten zu bekommen, als Frauen oder Katholiken. Dieses Gesetz würde von Frauen und Katholiken mit Sicherheit nicht begrüßt werden, ebenso wenig von allen, die über die Folgen von Gleichheit und Ungleichheit nachdenken. Es wäre einfach verrückt. Oder denken Sie an die Bildungschancen für die Kinder eines Stadtviertels – wobei einige eine 100-mal größere Chance haben, eine ordentliche Schule zu besuchen, als die anderen, die gerade einmal Lesen und Schreiben lernen. Oder denken Sie an verhungernde Menschen angesichts einiger Gruppen, die 100-mal mehr Nahrung erhalten. 100: 1 ist kein akzeptables Verhältnis. Es ist Ungleichheit und nicht Gleichheit.

Um noch näher an unser Thema heranzukommen, denken Sie an die Mitglieder einer Familie, die entscheiden, ob sie das Haus der Familie verkaufen wollen oder nicht – wobei aus irgendeinem Grund ein Bruder 100-mal so viel Entscheidungsgewalt hat wie alle anderen. Oder denken Sie an eine Gewerkschaft, in der einige Mitglieder 100 Stimmen haben und andere nur eine. Denken Sie an die Entscheidung einer Universität, so hohe Studiengebühren zu verlangen, dass viele Studenten vom Studium ausgeschlossen werden, wobei die Mitglieder der Wirtschaftsfakultät 100-mal so viel Entscheidungsgewalt haben wie die Mitglieder der anderen Fakultäten. 100:1 ist kein akzeptables Verhältnis, wenn es um Entscheidungen geht. Das ist Ungleichheit und nicht eine Form von Gleichheit.

Nun zurück zur Demokratie und ihrer aktuellen Beschreibung. Über die Gleichheit wurde bereits viel gesagt, aber es bleibt noch einiges hinzuzufügen. Zumindest muss manches noch näher erklärt werden.

Robert Dahl von der Universität Yale war ein Kenner und vielleicht der beste Theoretiker und Erforscher der amerikanischen Demokratie. Vor einem halben Jahrhundert schrieb er über die amerikanische Demokratie, dass ein Universitätsprofessor wie er selbst, der weit vom untersten Ende der Skala in einer solchen Demokratie entfernt ist, vielleicht ein Tausendstel oder sogar nur ein Zehntausendstel der politischen Freiheit und Macht eines Zeitungsverlegers wie Luce, Springer, Hearst oder Murdoch hat. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Tatsächlich ist die Machtkonzentration in vieler Hinsicht noch ausgeprägter.
Das ist einer der Gesichtspunkte der den nicht besonders beunruhigenden Vorstellungen der revidierten Beschreibung der Demokratie hinzugefügt werden muss. Es ist nicht die einzige Tatsache oder der einzige Gesichtspunkt, der unserer Vorstellung von unserer Demokratie hinzugefügt werden muss, und es ist noch nicht einmal einer der besonders wichtigen mit den weitreichendsten Konsequenzen. Dabei geht es nicht nur um Zeitungsverleger und andere führende und angesehene Personen.

In den Vereinigten Staaten besitzt das wohlhabendste Zehntel der Bevölkerung etwa 70 Prozent des in der Gesellschaft vorhandenen Wohlstands. Das ärmste Zehntel hat entweder gar nichts oder weniger als nichts – diese Menschen schulden mehr Geld als sie besitzen. Was das Einkommen betrifft, so verfügt das am besten verdienende Zehntel der amerikanischen Bevölkerung über rund 70 Prozent des gesamten Einkommens der Gesellschaft, das Zehntel mit dem geringsten Einkommen dagegen nur über 2 Prozent. In anderen Ländern wie Großbritannien sieht es ähnlich aus. An diesen Fakten ändert sich nichts, trotz gegenteiliger Versprechen und Vorhersagen der Regierung.

In diesem Zusammenhang fällt Ihnen vielleicht ein, dass es einmal Marxisten gegeben hat. Sie haben Bücher geschrieben wie das meines alten Freundes Jerry Cohen: Karl Marx’s Theory of History: A Defence. Vielleicht benötigen Sie die fragliche Theorie samt ihrer Metaphysik ebenso wenig wie ich, um die einfache Wahrheit zu erkennen, dass wirtschaftliche Macht politische Macht bedeutet und Geld auf vielerlei Weise für Wählerstimmen sorgt. Darum ist es auch für Sie, trotz des Niedergangs der besagten Theorie, vermutlich leichter, sich an die einfache Wahrheit zu halten. Es ist offensichtlich, dass eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht besteht.

Denken wir diesmal an das Zehntel der amerikanischen Bevölkerung, das sowohl den größten Teil des Wohlstands als auch das größte Einkommen hat. Ohne Zweifel verfügen diese Leute über weit mehr als 100-mal so viel politische Macht wie das ärmste Zehntel. Ich selbst habe diese Ungleichheit bisher unterschätzt, aber inzwischen haben einige andere bedeutende und weniger bedeutende Fakten mich noch sehr viel mehr beeindruckt.

Ein weniger bedeutendes Beispiel bezieht sich auf die Wahlen zum amerikanischen Senat im November 2004, als Bush zum zweiten Mal Präsiden wurde, diesmal indem er die Wahl tatsächlich gewann. Von den Kandidaten für die acht Sitze, für die es noch keinen Amtsinhaber gab und um die darum eine echte Wahlschlacht stattfand, gaben die Sieger durchschnittlich $9.473.789 aus, erheblich mehr als die Verlierer. Eine Konsequenz solcher Tatsachen ist eine immense Dezimierung der Wahlmöglichkeiten für die Wähler. Dabei geht es nicht um die Verlierer. Die Ideen und Optionen potentieller Kandidaten, denen niemand das nötige Geld für ihren Wahlkampf spendet und die darum gar nicht erst antreten können, werden überhaupt nicht gehört. Niemand, der das Gesundheitssystem oder die Unternehmenssteuern reformieren will, wird $9.473.789 an Spendengeldern zusammenbringen. Vielleicht bringt er es auf $100.000, und so versucht er es erst gar nicht.

Bisher gibt es noch keine offizielle und umfassende Untersuchung über den Zusammenhang von Wahlen und Geld oder gar von wirtschaftlicher und politischer Macht im Allgemeinen von einem Wirtschaftswissenschaftler oder einem politischen Wissenschaftler. Dieser Umstand soll uns aber weder aufhalten noch behindern. Wenn es um eine so ernste Angelegenheit wie diese geht, ist es falsch und vielleicht sogar unehrenhaft, eine offensichtliche Tatsache zu verschweigen, bis sich irgendein offizielles Gremium zum Handeln entschließt. Man kann sagen, dass eine Verzögerung eine Verletzung des intellektuellen Prinzips und des akademischen Anstands wäre, die wiederum eng mit der Wahrheit verknüpft sind.

Es gibt einen noch wichtigeren Aspekt der wirtschaftlichen und politischen Macht, der mit den Ungleichheiten in der Verteilung des Wohlstands und des Einkommens in unseren Gesellschaften zusammenhängt und nicht davon zu trennen ist. Ich meine den Druck, der durch internationale Finanz- und Handelsorganisationen und internationale Konzerne auf die demokratischen Entscheidungsträger ausgeübt wird, aber auch durch öffentliche und private Verwaltungsstellen, Büros und Konzerne auf nationaler Ebene. Er geht über die schon länger bestehende Verbindung zwischen Demokratie und wirtschaftlicher Freiheit oder Marktwirtschaft hinaus.

Diesem Konsortium aus verschiedenen Sektoren und Ebenen geht es offiziell um Verantwortung, Stabilität, Reziprozität und andere Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Fortschritt. Ihm gehören der Internationale Währungsfond, die Weltbank, die Welthandelsorganisation und ein paar hundert internationale und weitgehend supranationale Konzerne an, ebenso die Wirtschafts- und Handelsministerien und die nationalen Konzerne in allen westlichen oder, besser gesagt, nördlichen Demokratien.

Das Konsortium ist ein Abkömmling der Kolonialreiche und des Kolonialismus. Es geht dabei mehr um Handel als um Wirtschaft im gewöhnlichen Sinn dieser beiden Wörter. Das Konsortium bewegt sich unverhüllt innerhalb der politischen Tradition des Konservativismus und ist vielleicht der Teil mit den schwerwiegendsten Konsequenzen. Seine wahren Ziele sind allgemein bekannt. Es geht ihm um die Erhaltung der Einschränkungen der Wirtschaftsbeziehungen, die den Interessen der Wirtschaft der nördlichen Hemisphäre dienen und absurder Weise als Freiheit des Handels bezeichnet werden, um die Privatisierung von allem, was dem Staat gehörte und von ihm betrieben wurde, um das Ende von Regelungen, die dem öffentlichen Wohl und nicht dem Profit dienten, um Freiheit für alle Investoren in die Wirtschaft aller Länder, um eine Reduzierung der Zuständigkeiten der Regierungen, soweit dies nicht die Interessen des Konsortiums schädigt. All das wird unter der Überschrift Globalisierung betrieben und ist, wie im Hinblick auf den Markt mit vollem Recht gesagt wird, die Hegemonie der Vereinigten Staaten und manchmal der politischen Klasse.

Es wird nicht oft genug ausgesprochen, dass das Ziel des Konsortiums nicht die Wahrheit ist. Allgemeiner gesagt ist das Ziel des Kaufens und Verkaufens noch nie die Wahrheit gewesen. Es ist auch nicht und war noch nie das, was gut oder richtig ist. Das Ziel des Marktes ist weder Wahrheit noch Recht. Es gibt auch nicht den geringsten Grund, zu glauben, dass Kaufen und Verkaufen oder der Markt mehr Wahrheit oder Recht hervorbringen als man erreichen könnte, wenn man tatsächlich nach Wahrheit und Recht streben würde. Das Ziel des Konsortiums ist nichts als die Sicherung und Erweiterung der Möglichkeiten, die Geschäfte in gewohnter Weise fortzuführen und den Gewinn einzustreichen.

Es lohnt sich, lange genug bei diesen Dingen zu verweilen, um darüber nachzudenken, dass es eine wirklich erstaunliche Erkenntnis über unser Verhalten und unsere Existenz wäre, eine Erkenntnis, die ganze Universitätsfakultäten revolutionieren oder überflüssig machen und Bibliotheken dezimieren würde, wenn es sich herausstellen würde, dass die beste Methode, ein großes Ziel zu erreichen oder überhaupt irgend etwas zu erreichen, z.B. seine Schuhbänder zuzubinden, eine Cocktail-Party zu organisieren, einer Religion zu folgen, Kinder zu erziehen, den Gesundheitszustand eines Volkes zu verbessern oder einen Krieg zu führen, darin bestünde, dass niemand darüber nachdenkt, dass sich niemand auf das betreffende Ziel konzentriert.

Wir erreichen Dinge dadurch, dass wir bewusste Wünsche haben, darüber nachdenken, wie wir sie befriedigen können, Gründe für oder gegen mögliche Schritte erwägen, experimentieren und schließlich vernünftige Schritte unternehmen, um unser Ziel zu erreichen. Die gegenteilige Ansicht, bekannt als das Argument von der unsichtbaren Hand für individuelles Eigeninteresse und einen freien Markt, geht in erster Linie auf einen Wirtschaftswissenschaftler des achtzehnten Jahrhunderts, Adam Smith zurück. David Hume hätte bei der Auswahl seiner Freunde etwas vorsichtiger sein sollen. Auch wenn man das Argument von der unsichtbaren Hand noch so oft wiederholt, wird trotzdem nichts anderes daraus als Unsinn, der einigen Leuten angenehm und nützlich ist, die nur eine bestimmte Richtung verfolgen. Man bekommt ebenso wenig eine brauchbare Gesellschaft, wenn man nicht versucht, sie zu schaffen, wie man einen Krieg gewinnen kann, wenn man nicht versucht, ihn zu gewinnen.

Die Auswirkungen des Konsortiums auf die Demokratie werden manchmal im Hinblick auf effektive Entscheidungen der Regierung untersucht, durch die tatsächlich das bewirkt wird, was die Regierung entschieden hat. Es ist offensichtlich, dass das Konsortium diese Fähigkeit der Regierung einschränkt und sich manchmal sogar als stärker erweist als diese. Das ist jedoch nicht unser gegenwärtiges Anliegen. Unser Interesse gilt der Frage nach der Rolle von Gleichheit oder Ungleichheit in dem Prozess, durch den unsere Regierungen zu Urteilen über Palästina, den 11. September, den Krieg in Irak und den 7. Juli kommen und höchst wahrscheinlich auch über zukünftige Ereignisse kommen werden.

Ohne Zweifel hat das Konsortium gerade in Bezug auf die Meinungsbildung in den Demokratien ein großes Gewicht – in Bezug auf das Denken und die Fragestellungen in den Demokratien, eben den Prozess, bei dem angeblich Gleichheit oder fast Gleichheit herrscht. Das ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer Einschränkung der Handlungsfreiheit. Es ist das Gewicht eines Konsenses. Dieser gibt sich als Realismus und Gefühl für das Mögliche aus, womit das angebliche Ausmaß des Möglichen gemeint ist und damit auch dessen, was für notwendig gehalten wird. Was notwendig ist, ist kurz gesagt Stabilität, Kontinuität und dergleichen, wobei dieses Dergleichen Dinge wie das Gesetz, Verhandlungen, demokratische Mittel usw. umfasst. All das steht im Gegensatz zum Terrorismus – dem, was gewöhnlich unter Terrorismus verstanden wird – und zum Krieg.

All diese Fakten, angefangen mit den langweiligen Tatsachen bezüglich der Wahlen über die Macht bestimmter Individuen und der Verteilung von Wohlstand und Einkommen in unserer Gesellschaft bis hin zur Rolle des Geldes bei den Wahlen und der Existenz des Konsortiums summieren sich zu einer ungleichen Verteilung der wirtschaftlichen Macht, die in krassem Widerspruch zur heute üblichen Beschreibung der Demokratie steht. Es ist hirnlos zu behaupten, dass in unseren Demokratien weniger als die volle Gleichheit oder weniger als die ideale oder totale politische Gleichheit herrscht, wie britische und amerikanische Politiker es tun, wenn sie gerade nicht im Dienst sind. Es ist eine Folge unserer idiotischen Konventionen, von Konventionen, die gegen jede Wahrheit und Logik aus Eigensucht geboren sind, wenn ein britischer Universitätsprofessor sich hinstellen und sagen kann, wie einer es getan hat, dass in unseren Demokratien annähernd Gleichheit herrscht, dass der politische Einfluss eines Bürgers nicht drastisch größer ist als der eines anderen, dass eine hinnehmbar gleichmäßige Verteilung des politischen Einflusses besteht. Ich war dieser Professor.

In unseren Demokratien herrscht, in klaren Worten ausgedrückt, Ungleichheit, sogar krasse Ungleichheit. Das ist der Schluss, zu dem man zwangsläufig kommen muss. Es herrscht in ihnen sehr viel mehr Ungleichheit als bei den beschriebenen Quoten zur Einstellung von Frauen und Katholiken. Es herrscht in ihnen viel mehr Ungleichheit als in den verrückten Gewerkschaften, in denen manche Mitglieder 100 Stimmen haben, oder in den Universitäten, in denen die Wirtschaftswissenschaftler 100-mal so viel Einfluss haben wie die Mitglieder anderer Fakultäten. Die oben beschriebenen Überlegungen ergeben, dass in unseren Demokratien das in wirtschaftlicher Hinsicht oberste Zehntel der Bürger 1.000-mal so viel politischen Einfluss hat wie das unterste Zehntel.

Glauben Sie, dass diese Zahlen aus der Luft gegriffen sind? Das sind sie tatsächlich. Wo sollte ich sie sonst hernehmen? Von unseren Wirtschaftswissenschaftlern und politischen Wissenschaftlern könnte ich sie bestimmt nicht bekommen. Aber die Luft, aus der ich sie gegriffen habe, sind die oben beschriebenen Beispiele von Ungleichheit. Die politische Ungleichheit in unseren Gesellschaften kommt einem Verhältnis von 1.000 zu eins sehr viel näher als einem Verhältnis von 100 zu eins. Vergessen Sie nicht, dass das untere Zehntel in unseren Gesellschaften überhaupt kein Geld für die Wahl der richtigen Kandidaten ausgeben kann. Manchmal fehlt den Leuten sogar das Geld, um zum Wahllokal zu gelangen.

Um das Ergebnis unserer Überlegungen etwas anders und vielleicht etwas weniger spekulativ zu formulieren, unsere Demokratien sind hierarchische Demokratien. Es handelt sich einfach um primitive Demokratien, um Regierungssysteme, in denen die Verteilung der politischen Macht systematisch und in absurder Weise ungleich ist. Daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel.

Darum sind sie Regierungssysteme, in denen die Vorstellung, dass zwei Köpfe besser seien als einer und viele Köpfe besser als zwei, ganz einfach nicht zutrifft. Es sind Systeme, in denen nur bestimmte Personen eine Stimme haben und gehört werden. Es sind Systeme, in denen infrage kommende Ideen nicht wirklich verbreitet werden, in denen es zu keinem Konflikt der Ideen kommen kann, in denen es keinen Widerstand gegen exzessive Eigensucht, keine echte Erwägung aller Interessen, keine Überprüfung von Vermutungen und Entscheidungen in Form von breiter und offener Diskussion geben kann.

Es sind Regierungssysteme, in denen einige wenige alle anderen der Vorteile berauben, die sie hätten, wenn alle Stimmen und nicht nur einige wenige gehört würden. Es sind Regierungssysteme, die keinem Wissen aufseiten der Wähler unterworfen sind, die infolge der Unwissenheit und mangelnden Urteilsfähigkeit ihrer Wähler völlig freie Hand haben. Es sind Regierungen, die in mancher Hinsicht selbst unwissend und nicht urteilsfähig sind, weil sie die Dinge, die sie manchmal wissen, nicht zu spüren bekommen. Der Zustand, in dem wir uns befinden, kommt einer Kontrolle des Denkens und der Meinungsbildung durch eine verdeckte Plutokratie gefährlich nahe. Das ist übrigens keine in sich radikale Vorstellung. Der liberale John Stuart Mill hat schon vor langer Zeit etwas Ähnliches geäußert. Es gibt Konservative, die diesen Zustand befürworten und undemokratische oder elitäre Ansichten über unsere Demokratie vertreten.

Nicht jedermann wird eine Tatsache begrüßen, die wir noch nicht beachtet haben, die jedoch erwähnt werden muss. Erinnern Sie sich daran, dass zur traditionellen Beschreibung der Demokratie auch eine Vorstellung von der Vorgehensweise demokratischer Regierungen gehört – die Vorstellung, dass die gewählten Regierungen selbst ihre Entscheidungen anhand von freien und gleichen Mehrheitsbeschlüssen treffen? Die aktuelle Beschreibung der Demokratie beinhaltet eine Variante der Vorstellung, dass zwei Köpfe besser als einer und viele Köpfe besser als zwei seien. Dass in jeder Beschreibung der Demokratie eine solche Idee vorkommt, muss sicher ein wichtiger Teil der Begründung für die Behauptung sein, dass Demokratien bessere oder weniger falsche Lösungen für alle Probleme finden als andere Regierungssysteme.

Angesichts unserer existierenden Demokratien muss über diesen Vorzug der Demokratie zumindest nachgedacht werden. Im März  2003 trat Großbritannien in den Krieg gegen Irak ein. Was auch immer über diesen Krieg in Zukunft zu sagen sein wird, heute muss dazu gesagt werden, dass das House of Commons, das entscheidende Forum der britischen Demokratie, daran gehindert wurde, über den Krieg abzustimmen, einen Krieg, gegen den Hundertausende oder vielleicht sogar Millionen Menschen demonstrierten. Das House of Commons wurde aus Angst vor dem Abstimmungsergebnis, das vielleicht eine sehr knappe Mehrheit für die Regierung gewesen wäre, mit Hilfe der Verfassung an der Abstimmung gehindert. Die ausschlaggebende Rolle bei der Entscheidung, Großbritannien in den Krieg zu führen, spielte der Wille des Regierungsoberhaupts.

Ich gebe zu, dass unsere Demokratien im Vergleich mit Diktaturen und Ähnlichem immer noch sehr gut abschneiden. Ich lebe lieber hier unter dem wenig intelligenten Oberhaupt einer wenig intelligenten Regierung. Aber im Vergleich mit Demokratien, die nicht hierarchisch sind oder sein sollen sieht die Sache anders aus. Solche Demokratien sind für uns gegenwärtig zumindest wichtige Alternativen. Diese Vergleiche müssen wir im Augen behalten, wenn wir, um zu unserem Hauptanliegen zurückzukehren, die Bedeutung des Platzes einer Gesellschaft auf der Gleichheits-/Ungleichheitsskala für das Finden der richtigen Lösungen untersuchen. Wir müssen diese Vergleiche im Auge behalten, wenn wir Gesellschaften mit der Vorstellung betrachten, dass zwei Köpfe besser seien als einer und viele besser als zwei.

Die Grundidee, der wir nachgehen wollten, ist die, dass unsere Demokratie bessere oder weniger falsche Lösungen findet und öfter im Recht ist, weil in ihr Gleichheit herrscht. Und dass sie wegen der in ihr herrschenden Gleichheit auch für Probleme wie Palästina, den 11. September, Irak und den 7. Juli die besseren Lösungen findet. Das ist natürlich Unsinn. Jedenfalls ist die Voraussetzung Unsinn. 


Freiheit in der Demokratie

Wenn man erst einmal angefangen hat, über die Demokratie nachzudenken, fällt es schwer, wieder damit aufzuhören. Ein anderer Gedanke meldet sich zur Stelle. Er hat etwas mit den drei Eigenschaften der Demokratie zu tun, die gleich zu Anfang sowohl in der traditionellen als auch in der aktualisierten Beschreibung der Demokratie genannt wurden: Die Staatsbürger wählen ihre Regierungen in freien Wahlen, beeinflussen sie frei während der Zeit zwischen den Wahlen und üben auch Einfluss auf das Programm für die nächsten Wahlen aus.

Bislang haben wir festgestellt, dass der Wert der Beurteilungen durch unsere Demokratie zumindest zweifelhaft ist und infolge der Tatsache, dass keineswegs alle Stimmen in unserer Demokratie gleich zählen, manchmal jeden Wert verliert. Bleibt die Freiheit, die wir von der Frage der Gleichheit getrennt behandelt haben, dadurch unberührt? Ich werde Sie nicht erst daran erinnern müssen, dass unsere politischen Führer großen Wert auf die Freiheit als solche legen. Wenn sie nicht gerade die Demokratie selbst mit dem vergleichen, was sie unter Terrorismus verstehen, betonen sie den Kontrast zwischen unserer Freiheit und dem Terrorismus.

Und, um unsere gegenwärtige Untersuchung weiterzuführen, Freiheit wird als weiterer Grund angeführt, den Ergebnissen demokratischer Entscheidungsprozesse zu vertrauen.

Dies muss von einem weiteren, weniger wichtigen Vorzug der Freiheit in der Demokratie unterschieden werden, den wir ebenfalls einräumen und beiseite lassen können, nämlich der Ausübung oder Erfahrung politischer Freiheit. Diese ist in sich selbst befriedigend – ganz zu schweigen von den Ergebnissen der Ausübung dieser Freiheit in Form des Erlassens von Gesetzen, des Beginns eines Krieges oder was auch immer. Ein Mitspracherecht zu haben ist in sich selbst etwas Gutes.

Aber der wichtigste Vorzug der politischen Freiheit in der Demokratie, oder jedenfalls der wichtigste mögliche Vorzug, ist nicht die Erfahrung der Freiheit, sondern etwas, das wir im Zusammenhang mit der Gleichheit erwogen haben, nämlich das, was diese Freiheit zur besseren oder schlechteren Beurteilung der Dinge beiträgt. Wenn es also schon nicht zutrifft, dass man Demokratien wegen der in ihnen herrschenden Gleichheit mehr trauen kann als anderen Regierungen, kann man ihnen vielleicht aufgrund der in ihnen herrschenden Freiheit vertrauen? In einer Demokratie werden die Bürger nicht zum Schweigen gebracht oder auf die Wahl einer bestimmten Partei beschränkt. Sie werden auch nicht gezwungen, zu Demonstrationen zu gehen.

Aber man kann noch etwas intensiver über diese Freiheit nachdenken, und, wie sich herausstellen wird, damit auch über die Gleichheit.

In der konservativen und vielleicht auch der liberalen Politik und politischen Philosophie war immer wieder ein Refrain zu hören, den man ohne Zweifel auch heute noch hört. Dieser Refrain besagt, dass die Freiheit oder politische Unabhängigkeit nicht mit der Gleichheit vereinbar sei. Man könne nicht beides haben. Das besagt ziemlich deutlich, dass es sich um zwei Dinge handelt, von denen man das eine ohne das andere oder nur entweder das eine oder das andere haben kann. Was immer wir bisher im Zusammenhang mit der Demokratie angenommen haben, auch wir sind davon ausgegangen, dass Freiheit und Gleichheit zweierlei Dinge sind.
Diese Annahme erweist sich als falsch – was übrigens ein weiterer Grund ist, über die Weisheit der Konventionen unserer Gesellschaften nachzudenken. Man kann sagen, dass Freiheit und Gleichheit in wesentlicher Hinsicht ein und dasselbe sind. Jedenfalls nimmt beides zusammen ab oder zu. Das ist das Ergebnis bestimmter Überlegungen.

Die zentralen Fakten sind einfach. Freiheit ist, wie wir angenommen haben, die Möglichkeit, so zu entscheiden und zu handeln wie man will, ohne gehindert oder gezwungen zu werden, auf eine bestimmte Weise zu entscheiden oder zu handeln. Freiheit ist also eine Frage des Ausmaßes – wir können überhaupt nicht oder wenig oder in hohem Maß unter Zwang stehen oder keinerlei freie Wahl haben. Und, um zu einem anderen Punkt zu kommen, das Ausmaß an Freiheit, das Sie haben, kann von dem Ausmaß an Freiheit abhängen, das ich genieße. Gelegentlich kann es auch besser oder natürlicher sein, zu sagen, das Ausmaß an Freiheit, das Sie haben, hängt von Ihren Mitteln ab, und das Ausmaß oder der Wert Ihrer Mittel kann vom Ausmaß oder Wert meiner Mittel abhängen.

So haben Sie z.B. in einer bestimmten Situation erheblich weniger Freiheit als ich, wenn ich ein Gewehr habe. In manchen Situationen haben Sie auch erheblich weniger Freiheit als ich, wenn Sie arm sind und ich wohlhabend oder reich bin. Sie haben weniger politische Freiheit als ich, wenn ich viele Fernsehspots kaufen kann, um meinem Kandidaten zu einer Stimmenmehrheit zu verhelfen. Um zum wichtigsten Punkt dieser Überlegungen zu kommen, all diese Freiheiten oder die Mittel zu ihrer Erlangung hängen vom Ausmaß der damit verbundenen Gleichheit oder Ungleichheit ab. Im gleichen Maß, wie die Gleichheit der Freiheit oder der Mittel zur Freiheit abnehmen, nimmt auch die Freiheit eines Menschen bis hin zum Nullpunkt ab.

Allgemein gesagt müssen Freiheiten tatsächlich ungefähr gleich sein, um überhaupt als Freiheit bezeichnet werden zu können. Oder der Wert der Freiheiten hängt davon ab, ob sie tatsächlich wenigstens einigermaßen gleich sind.

Man muss sich also eine Frage zu einer Freiheit oder einer sogenannten Freiheit stellen, bevor man sie sich als etwas verkaufen lässt, z.B. als Ursache guten Urteilsvermögens in einer Gesellschaft. Sie müssen fragen, welches Maß an Gleichheit oder Ungleichheit damit verbunden ist. Wenn Ihnen ein Händler für Demokratien eine Freiheit oder sogenannte Freiheit als Leitfaden für Recht und Unrecht verkaufen will, müssen Sie fragen, welches Maß an Gleichheit oder Ungleichheit damit verbunden ist. Diese Freiheit und das Gute, das sie bewirken kann, sind eine Funktion der Gleichheit ihrer Verteilung. Diese Freiheit oder sogenannte Freiheit verblasst, wie jede andere auch, zu Unfreiheit. Sie verblasst im gleichen Maß zu Einschränkung, Unvermögen oder Unterdrückung, wie das Maß ihrer Gleichheit abnimmt.

Der Schluss, den wir aus all dem ziehen, ist klar. Ebenso wenig wie es ein echtes oder überzeugendes Argument für die gute Urteilsfähigkeit unserer Demokratie aufgrund der angeblich darin herrschenden Gleichheit gibt, kann es ein solches Argument aufgrund der angeblich darin herrschenden Freiheit geben. Wir können weder aus der einen, noch aus der anderen Begründung schließen, dass unsere hierarchische oder primitive Demokratie unser Leitfaden zur Beurteilung von Recht und Unrecht in der Welt und insbesondere in Palästina, in Irak und anderswo sein könnte.

Wenn Sie noch einmal auf den Refrain der konservativen und vielleicht auch der liberalen Politiker über den angeblichen Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit zurückkommen wollen, dann ist es übrigens vollkommen klar, was in Wirklichkeit dahinter steckt. Es handelt sich nicht um einen allgemeinen Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit, sondern um den einen oder anderen Konflikt zwischen einer besonders ausgewählten Freiheit, die irgendwie oder angeblich gleich sein soll, und einer anderen irgendwie oder angeblich gleichen Freiheit. Es kann der Konflikt zwischen einer Freiheit des Privateigentums oder des Marktes und einer Freiheit sein, die mit der Gesundheitsvorsorge oder der Armut zutun hat. So war es übrigens auch mit einem angeblichen Konflikt zwischen Rechten und der Gleichheit, der sich lediglich als Konflikt zwischen unterschiedlichen Rechten entpuppte. Aber darauf wollen wir nicht näher eingehen.

Vielleicht ist noch ein Wort zur Klärung einer anderen Frage angebracht. Glauben Sie, dass ich Freiheit und Fähigkeit oder Macht miteinander verwechsle, wenn ich sage, dass die Freiheit von der Gleichheit abhängt? Sagen Sie, dass keine Freiheit zu haben bedeutet, gezwungen oder gehindert zu werden, etwas zu tun? Und dass das etwas ganz anderes ist als nicht die Fähigkeit oder Macht zu haben, etwas zu tun? Und dass das, was die Gleichheit beeinflusst, Macht und nicht Freiheit ist?

Die Antwort auf diesen Einwand besteht zum Teil darin, dass wir beides sagen können – wir können die Freiheit als Freiheit von Zwang und gleichzeitig als Fähigkeit auffassen, etwas zu tun, oder wir können unter Freiheit nur die Freiheit von Zwang verstehen. Der zweite Teil der Antwort besagt, dass es für unsere Argumentation keine Rolle spielt, ob Sie sich für die erste, umfassendere Definition entscheiden. In diesem Fall hängt eine bestimmte gute Wirkung sowohl von der Freiheit als auch von der Macht ab, und beides hängt wiederum von der Gleichheit oder Ungleichheit ab.

Ein weiterer Gedanke. Was über die Verbindung zwischen Freiheit und Gleichheit gesagt wurde, ist eigentlich eine Binsenwahrheit oder sollte es jedenfalls sein. Es wird in unseren normalen Gesprächen über Freiheit und Gleichheit vorausgesetzt, auch in den einschlägigen Abschnitten am Anfang dieses Buches. Dort heißt es: „Die Bürger werden bei ihrer Meinungsbildung und Beeinflussung der Regierungen nicht gezwungen oder behindert.“ Sicher waren Sie der Meinung, dass diese Freiheit auch die Gleichheit einschließt. Sie konnten es kaum anders auffassen. Was aber keine Binsenwahrheit ist, ist die Handhabung von Konventionen in unserer Gesellschaft, das Herbeiführen von Zustimmung, wodurch es möglich wird, eine Zeitlang oder immer anders zu denken.

Noch ein Gedanke. Im Hinblick auf etwas, das bei unserer Untersuchung von menschlichen Gütern und Gleichheit zur Sprache kommen wird, sollte darauf hingewiesen werden, dass die Abhängigkeit Ihrer Freiheit von der meinen ihre Freiheiten nicht zu relativen statt absoluten Gütern macht. Ein absolutes Gut ist etwas oder genug oder viel oder sehr viel von etwas. Ein relatives Gut wird gewöhnlich für weniger wichtig gehalten und ist mehr als eine andere Menge von etwas. Um es anders auszudrücken, ein absolutes Gut ist etwas auf einer irgendwie gearteten Skala, die nicht unbedingt eine numerische Skala sein muss. Ein sogenanntes relatives Gut ist etwas, das in bestimmtem Ausmaß höher auf der Skala liegt als etwas anderes – eine Beziehung, in der verschiedene andere Paare von Gütern ebenfalls stehen können, sei es weiter oben oder weiter unten auf der Skala.

Selbst Bush und Blair sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Abhängigkeit meiner Freiheit von der Ihren meine Freiheit nicht zu einem nur relativen Gut macht.


Hilfe von der Demokratie

Wenn man erst einmal angefangen hat, intensiv über eine Sache nachzudenken, kann es, wie gesagt, schwer sein, damit wieder aufzuhören.

Eine grundlegende Vorstellung haben wir bei unseren Gedankengängen bisher noch nicht infrage gestellt. Selbst wenn Sie die Probleme vergessen, die mit Freiheit und Gleichheit verbunden sind, gibt es noch ein weiteres, vorrangiges Problem. Unsere Gedankengänge basieren auf der Idee, dass die Demokratie ein Entscheidungsprozess ist, dessen Ergebnisse bereits gutgeheißen werden, bevor man überhaupt weiß, worum es sich handelt.

Dabei ist nicht gemeint, dass Sie bereits wissen, dass eine Entscheidung richtig oder sinnvoll ist und dann in Ihrem Urteil dadurch bestätigt werden, dass diese Entscheidung von einer Demokratie stammt. Damit würde die Hauptfrage nicht berührt, nämlich wie Sie erst einmal herausfinden sollen, ob eine Entscheidung richtig oder sinnvoll oder sonst etwas ist. Die besagte grundlegende Idee besteht darin, dass man demokratisch vorgehen kann, bevor man erkennen kann, was richtig ist, und es dadurch herausfindet. Es ist gewissermaßen ein blinder Engscheidungsprozess.

So ausgedrückt mag Ihnen der Gedankengang weniger zwingend erscheinen, als Sie zunächst vermutet hatten. Aber genau darüber haben wir nachgedacht, und eine ähnliche Idee wurde in jüngerer Zeit in der liberalen Moralphilosophie und politischen Philosophie vertreten.

Rawls drei Prinzipien des Liberalismus lauteten, dass unsere Gesellschaften erstens gemäß bestimmten traditionellen Rechten oder Freiheiten regiert werden müssen, zweitens nach dem Prinzip der Chancengleichheit und drittens nach dem Prinzip, dass eine Ungleichheit herrschen muss, die so geartet ist, dass die ärmste Klasse besser daran ist, als sie es ohne diese Ungleichheit wäre. Die von ihm für diese Prinzipien ausgearbeitete Begründung ist im Grunde genommen nichts als reine Phantasie.

Man stellte sich einen bestimmten Entscheidungsprozess vor, den Abschluss eines Sozialvertrags zwischen Menschen, die eine Gesellschaft begründeten. Man nahm an, dass die Ausnahmesituation der Menschen, vor allem die vollkommene Unwissenheit der einzelnen Personen bezüglich ihrer eigenen persönlichen charakteristischen Eigenschaften und Interessen, für jede von ihnen für die Gesellschaft getroffene Entscheidung sprechen würde. Daraus wurde geschossen, dass die Menschen sich für Rawls drei Prinzipien entscheiden würden. Gleichzeitig wurde vorausgesetzt, dass diese Prinzipien in der Welt wie sie ist für uns richtig sein würden. Also wiederum ein blinder Entscheidungsprozess, in diesem Fall blind in doppelter Hinsicht – wir selbst und die imaginären Vertragspartner befinden sich im Zustand der Blindheit. 

Das Argument mit dem Kontrakt wurde von vielen Philosophen beachtet. Aber auch ohne diese Aufmerksamkeit war zu erkennen, dass die imaginäre Entscheidung und die daraus für uns gezogenen Schlüsse gewissermaßen vorherbestimmt waren. Tatsächlich waren die Prinzipien in irgendeiner Form von Anfang an in der Diskussion mit inbegriffen – in der besonderen Situation der imaginären Vertragspartner.

Als erstes mussten sie von den traditionellen Freiheiten überzeugt sein. Sie konnten keine Ansammlung übriggebliebener Kommunisten sein. Sie mussten diese Freiheiten, einschließlich des Rechts auf Privateigentum, bei der Begründung einer Gesellschaft für wichtiger halten als Chancengleichheit. Sie mussten auch glauben, dass Chancengleichheit wichtiger sei als der Zustand der ärmsten Klasse. Es handelt sich also keineswegs um einen blinden Entscheidungsprozess. Rawls muss man zugute halten, dass er einwandte, eine Methode zur Schließung eines Kontraktes müsse nicht notgedrungen zu den gewünschten Prinzipien führen. In diesem Fall, so meinte er, könne man rückwirkend die Lebensumstände der imaginären Vertragspartner oder sogar die Vertragspartner selbst ändern, um die gewünschten Prinzipien zu erhalten.

Und wie steht es nun mit der Demokratie? Ist es wirklich vorstellbar, dass Sie mit der Demokratie als Entscheidungsmethode oder Entscheidungsprozess beginnen, an die darin herrschende Freiheit und Gleichheit denken, nichts oder wenig darüber wissen, was dabei herauskommen wird und so zu einer Antwort zur sozialen Gerechtigkeit oder der gerechten Gesellschaft oder was auch immer gelangen, einer Antwort auf die Frage, wie eine Gesellschaft funktionieren sollte – und zu einer Antwort auf unsere Frage, was in Palästina usw. Recht und Unrecht ist?

Natürlich nicht. Sie verstehen genug von der Demokratie, um zu wissen, dass Sie so gut wie sicher sein können, ein bestimmtes Ergebnis oder eine bestimmte Art von Ergebnissen zu erhalten. Sie rechnen nicht damit, dass das Ergebnis eine Befürwortung von al-Kaida sein könnte. Schließlich ist es unsere Demokratie, von der hier die Rede ist und Sie wissen eine Menge darüber, wie sie funktioniert und was dabei herauskommt. Sie haben schließlich nicht seit zwanzig Jahren geschlafen oder aufgehört Zeitungen zu lesen. Das mutmaßliche Demokratie-Argument führt uns also im Kreis herum. Mit der Fragestellung wird bereits eine bestimmte Antwort vorausgesetzt. Sie fangen irgendwie mit etwas an, das Sie für richtig halten und das eine inhärente Eigenschaft der Demokratie ist, und dann schließen Sie daraus, dass es richtig ist. Aber sie brauchen ein echtes Argument für das Ergebnis, etwas, was Sie von Anfang an für richtig gehalten haben und das nichts mit der Demokratie zutun hat.

Man kann Sie bitten, zu sagen, was Sie in den Prozess einspeisen, ohne es ausdrücklich auszusprechen. Man kann Sie fragen, ob Sie das einspeisen, was der Liberalismus vorgibt. Man kann Sie angesichts der bekannten Politik des nach Einkommen und Wohlstand obersten Viertels der Bevölkerung auch etwas Anderes fragen. Man kann Sie fragen, ob das, was sie in den Prozess einspeisen, der Konservativismus und seine Logik sind.

Dass Rawls Kontrakt-Argument und das Demokratie-Argument im Wesentlichen kreisförmig sind, passt zu einer anderen einfachen Tatsache, deren Ursprung außerhalb der Welt der politischen Philosophie liegt. Es ist immer gerade die Geschichte der Ergebnisse, die für einen Entscheidungsprozess spricht, oder die Geschichte der Ergebnisse ähnlicher oder verwandter Entscheidungsprozesse. Etwas anderes käme nicht in Frage. Dies ist z.B. bei Gerichten der Fall, trotz ihrer Unvorhersehbarkeit, wenn es um bestimmte Fälle geht. Es trifft für das gesamte Leben zu, angefangen mir der Regel, dass das Kind, das den Kuchen schneidet, das letzte Stück erhält. Es sind die vorhersehbaren allgemeinen Ergebnisse, die für einen neuen Entscheidungsprozess sprechen. Nichts anderes wäre möglich.

Muss noch mehr über die Hilfe von der Demokratie gesagt werden, die uns angeblich zur moralischen Wahrheit bezüglich unserer Themen führt? Die Möglichkeit, dass sie das tun könnte, musste zweifellos bedacht werden. Aber, wenn Sie ein klares Wort vertragen, die Idee ist es kaum wert, dass sich Erwachsene damit beschäftigen. Sie stürzt in sich zusammen, wenn man an Gleichheit, Freiheit oder die grundlegende Idee des Entscheidungsprozesses denkt.

Es wäre einfacher gewesen, die Natur der Demokratie und ihre Beschreibung einfach beiseite zu lassen und direkt nach ihren Konsequenzen für die Welt, in der wir leben, zu fragen, nach ihrem Beitrag zu Hunger, Krieg und dergleichen. Sprechen diese Konsequenzen gleichbleibend für die Demokratie? Erinnern wir uns daran, dass die Demokratie als die Staatsform mit der geringsten Neigung zum Krieg gepriesen wird. Nun ja, sagen Sie das den Marines in Irak. Sagen Sie das den Irakern. Sagen Sie es den Kriegstoten.

Wir hätten uns auch noch mit einer Komplikation beschäftigen können, nämlich der Tatsache, dass Terrorismus, einschließlich des palästinensischen Terrorismus, manchmal nichts anderes als Demokratie zum Ziel haben kann. Manchmal wird damit eine demokratische Selbstregierung in einem Heimatland angestrebt. Man könnte ihn als demokratischen Terrorismus bezeichnen, von dem später noch die Rede sein wird.

Wir hätten auch schon früher darauf hinweisen können, dass es ein großer Unterschied ist, ob man jemandem empfiehlt, einer bestimmten Methode zu trauen, um zu einem Prinzip zu Recht und Unrecht zu gelangen, oder ob man statt dessen das Prinzip beschreibt, von dem man annimmt, dass es bei der besagten Methode herauskommt. Damit meine ich nicht, dass Sie beschreiben sollen, was Sie zu Beginn einspeisen, was ziemlich viel Spekulation und Selbsterforschung erfordern könnte.

Sie sollen einfach beschreiben, was wir herausbekommen oder was wir bereits herausbekommen haben. Schließlich funktioniert diese Demokratie schon ziemlich lange. Wir müssen sie nicht erst zum Laufen bringen. Alles spricht für eine direkte Beschreibung des Produkts – sei es der Konservativismus oder das, was Sie unter Liberalismus verstehen, oder was auch immer. Sie hätten es uns einfach sagen können. Sie hätten uns vermutlich erklären können, woran es liegt, dass unsere demokratischen Regierungen mehr zum Verlust von zwanzig Millionen Jahren Lebenszeit für heute lebende Afrikaner  beigetragen haben, als jede andere Regierung.

Aber jetzt spricht alles für eine andere Art von Direktheit.


Das Prinzip der Menschlichkeit

Es gibt eine Moralvorstellung, an die wir alle durch zwei Dinge gebunden sind. Das erste sind die großen Güter unseres Lebens, unsere grundlegendsten Bedürfnisse – die der Grund dafür sind, dass wir alle moralische Urteile abgeben, wonach sie uns selbst zustehen, und fest von der Richtigkeit dieser Urteile überzeugt sind. Das zweite ist die Tatsache, dass wir ein Minimum an Vernunft besitzen, dass wir Gründe haben, einschließlich moralischer Gründe, die notwendigerweise ebenso allgemeiner Natur sind wie alle anderen Gründe. Kurz gesagt, wir fühlen uns durch unsere menschliche Natur an eine Moralvorstellung mit guten Konsequenzen gebunden.

Wir alle wünschen uns das große Gut, existieren zu dürfen, was erheblich mehr bedeutet, als ein Bewusstsein zu haben und auf der Welt zu sein. Ebenso könnte man auch sagen, wir wünschen uns, dass unsere persönliche Welt weiterexistiert. Wir haben den gleichen Wunsch für Menschen, die uns nahe stehen, in erster Linie für unsere Kinder. Manchmal wird dieser Wunsch durch andere Wünsche ausgelöscht. So wären viele amerikanische Männer und Frauen bereit gewesen, ihrer eigenen Welt ein Ende zu setzten und Selbstmordaufträge durchzuführen, um den Tod von 2.800 Menschen am 11. September zu verhindern. Trotz solcher Ausnahmen sehnen sich fast alle Menschen danach, einfach zu existieren. Wir wünschen uns eine angemessene Lebensdauer von vielleicht 75 Jahren. Wir möchten nicht schon mit 35 sterben.

Ein weiterer Wunsch betrifft unsere körperliche Lebensqualität. Wir möchten keine Schmerzen haben und unsere Bedürfnisse nach Essen und Trinken, einem Dach über dem Kopf, Sicherheit, Schlaf und vielleicht auch Sex befriedigen. Das beinhaltet, ebenso wie der erste Wunsch, dass wir auch die materiellen Mittel haben möchten, die zum Erhalten der körperlichen Lebensqualität nötig sind. Ein Teil dieser Mittel sind sogenannte Konsumgüter, die man leicht abfällig beurteilen kann, wenn man sie hat. Wenn man in Armut lebt, fehlen einem diese Mittel vermutlich.

Drittens wünschen wir uns Freiheit und Durchsetzungsvermögen. Wir möchten nicht durch persönliche Umstände, die von anderen herbeigeführt werden, zu etwas gezwungen werden. Wir möchten nicht herumgestoßen, unterdrückt, geschwächt und daran gehindert werden, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Diese Willensfreiheit und Stärke wünschen wir uns zu Hause, in unserem Stadtviertel, am Arbeitsplatz und in dem vermutlich wichtigsten und größten Rahmen, in der Gesellschaft in unserem Heimatland. Es ist keineswegs erstaunlich, dass ausnahmslos alle politischen oder nationalen Traditionen oder Bewegungen Freiheit von irgendetwas versprechen – und dies bis zu einem gewissen Grad auch einhalten, wenn es in ihrer Macht steht.

Ein weiterer Wunsch, der uns allen gemein ist, betrifft die Beziehungen zu den Menschen um uns herum. Wir möchten auf unterschiedliche Art mit diesen Menschen in Verbindung stehen. Jeder von uns wünscht sich die ausschließliche Loyalität und wenn möglich Liebe eines anderen Menschen oder vielleicht auch von zwei oder drei andren Personen. Ferner möchten wir Mitglieder größerer Gruppen sein. Niemand möchte durch seine oder ihre eigenen Gefühle oder die Gefühle anderer aus der Gesellschaft ausgeschlossen sein, in der wir leben. Hauptsächlich aus diesem Grund war es schlimm, Nigger, Jude oder Paki in einem Land zu sein, in dem diese Bezeichnungen so ausgesprochen wurden, wie es der Fall war.

Der fünfte Wunsch ist der nach Respekt und Selbstachtung und ist untrennbar mit den Beziehungen zu unseren Mitmenschen verbunden. Niemand möchte das Gefühl haben, wertlos zu sein. Niemand bleibt unberührt, wenn er oder sie verachtet wird, auch wenn diese Verachtung noch so dumm ist. Niemand möchte gedemütigt werden. Menschen sind in der Lage, sich und andere deswegen zu töten. Wir wollen aber auch nicht, dass unser Volk gedemütigt wird. Wie alle unsere großen Wünsche bezieht sich der Wunsch nach Respekt und Selbstachtung auf die Menschen, die uns nahe stehen und in vieler Hinsicht auch noch auf andere, und er ist mit dem Wunsch nach den Mitteln verbunden, beides zu erreichen.

Schließlich wünschen wir uns noch die Güter der Kultur. Jeder von uns wünscht sich zumindest einige davon. Viele brauchen die Ausübung und den Trost einer Religion oder die Sitten eines Volkes oder irgendeiner Art von Gesellschaft. Wir möchten nicht in einer Gesellschaft leben, die wir für degeneriert oder minderwertig halten, beispielsweise in einer Gesellschaft, die in ihrer Sozialpolitik übersteigerten Wert auf das Kaufen und Verkaufen oder die öffentliche Zurschaustellung von Sex legt. Jeder, der auch nur einen Schimmer von Kenntnissen hat, wünscht sich das Gut des Wissens und damit der Bildung. Jeder, der auch nur die leiseste Ahnung vom geschriebenen Wort hat, möchte lesen können. Wir wünschen uns Kunst oder zumindest Unterhaltung.

Dies sind unsere fundamentalen Wünsche nach den großen Gütern, gleichgültig, in welcher Reihenfolge wir sie aufzählen. Sie alle sind miteinander verknüpft. Wenn das erste Gut notwendig für alle anderen ist und die anderen einander in unterschiedlichem Maß bedingen, lohnt es kaum, nach einer Rangordnung zu suchen. Wenn man will, kann man die fundamentalen Wünsche als Grundbedürfnisse bezeichnen, aber dadurch würde die einfache Tatsache ihrer Natur verwischt. Die Wünsche sind die Vorbedingung für andere Dinge, eine Vorbedingung, die nichts mit einem anfechtbaren moralischen Standard oder einer so wenig konkreten Vorstellung wie dem Wohlergehen zutun hat, dem Zustand, der eintritt, wenn die Bedürfnisse befriedigt sind.

Ein schlechtes Leben können wir als ein Leben ohne manche oder alle diese Güter definieren, als Nichterfüllung mancher oder aller grundlegender Wünsche. Ein gutes Leben kann man als Erfüllung der Wünsche beschreiben. An dieser Stelle müssen wir eine Entscheidung bezüglich guten und schlechten Lebens treffen und einige Tatsachen festhalten. Das würde man bei der Formulierung oder Festlegung eines moralischen Prinzips erwarten, und genau das ist unsere Absicht. Ein schlechtes Leben, wollen wir annehmen, ist eines, in dem es an einem oder mehreren der ersten drei Güter fehlt – Lebensunterhalt, körperliche Lebensqualität, Freiheit und Durchsetzungsvermögen – oder ein auskömmliches Leben, in dem der Wunsch nach den anderen fünf Gütern nur in minimaler Weise befriedigt wird. Alle anderen Personen haben ein gutes Leben.

Das Prinzip der Menschlichkeit bezieht sich auf schlechte Leben. Es kommt nicht genügend oder gar nicht zum Ausdruck, dass es sich um das altruistische Prinzip handelt, dass wir die Menschen, die ein schlechtes Leben haben und schlecht daran sind, retten sollten. Es ist das Prinzip, dass wir tatsächlich vernünftige Schritte unternehmen müssen, um Menschen aus einem schlechten Leben herauszuholen und herauszuhalten.

Das bedeutet, dass wir Schritte unternehmen sollen, die im gewöhnlichen Sinn vernünftig sind, um mit großer Wahrscheinlichkeit das gewünschte Ziel zu erreichen. Es sollen keine Schritte sein, die nur Selbstbetrug, Vorwand oder hohles Gerede sind, sondern Schritte, die man vernünftigerweise für wirksam halten kann, um das Ziel zu erreichen. Um im normalen Sinn vernünftig zu sein, müssen diese Schritte natürlich nicht nur effektiv, sondern, was ebenso wichtig ist, auch wohlüberlegt sein und die Lebenssituation möglichst unaufwendig verbessern. Sie dürfen nicht mehr Elend verursachen als sie verhindern und sich auf diese Weise selbst unwirksam machen.

Das Prinzip der Menschlichkeit besagt, um es umfassender zu beschreiben, dass die richtige Handlung, Praxis, Institution, Gesellschaft oder mögliche Welt im Gegensatz zu anderen diejenigen sind, die nach unserem besten Wissen zum Erreichen des Ziels, Menschen aus einem schlechten Leben herauszuholen und herauszuhalten, vernünftig und effektiv sind und sich nicht selbst unwirksam machen.
Das Prinzip betrifft aktive Handlungen oder das Ausführen von Aufträgen und dergleichen – das Zünden einer Bombe, das Abfeuern einer  Rakete aus einem Kampfhubschrauber, das Finanzieren ethnischer Säuberungen,

Flugzeugentführungen, das Jagen von Killern, das Vom-Zaun-Brechen eines Kriege und das Verbreiten von Lügen darüber, die Gegenwehr gegen Besatzungstruppen, Selbstmordattentate in U-Bahnzügen, den Schutz der Stadt vor weiteren Anschlägen. Das Prinzip betrifft aber auch Unterlassungen – den Bombenleger nicht aufzuhalten, obwohl das möglich wäre, den Hubschrauberpiloten nicht aufzuhalten, nicht zu tun, was man tun könnte, damit die Welt nicht so ungerecht oder bösartig ist, dass sie als Vorwand für grauenhafte Untaten wie das Lenken von Flugzeugen gegen Türme dienen kann, nicht wachsam zu sein, nicht alles zu tun, um Kriege weniger wahrscheinlich zu machen, nicht zu versuchen, unsere Demokratie zu verbessern, die Polizei nicht zu rufen oder zu Rassismus zu schweigen.  

Das bedeutet, dass das Prinzip unsere Handlungen oder unser Verhalten im Allgemeinen und die Dinge betrifft, zu denen sie führen. Es betrifft unser Verhalten, das in mancher Hinsicht und bis zu einem gewissen Grad vorsätzlich ist. Die Abgrenzung zwischen Handlungen und Unterlassungen ist fließend. Sie gehören nicht zwei verschiedenen Kategorien an und zeichnen sich beide durch die dahinter stehende Absicht aus. Handlungen sind meistens in vollem Umfang vorsätzlich – sie sind ein Verhalten, dessen Charakter und Konsequenzen den Wünschen und Absichten der handelnden Personen entsprechen. Unterlassungen dagegen können Handlungen sein, die teilweise nicht vorsätzlich sind – Handlungen, deren Charakter und Konsequenzen sich die handelnde Person nicht vorstellt oder wünscht, die aber das Ergebnis früherer Absichten und Handlungen der Person sind.

So spende ich z.B. nichts für eine Sammlung gegen den Hunger, sondern gebe das Geld anderweitig aus und fahren in Urlaub. Die Unterlassung besteht in der Nichtteilnahme an einer Handlung als Ergebnis früherer Absichten und Handlungen. Ein weiteres Beispiel: Ein Politiker oder eine Wählerschaft tun etwas, womit sie es gleichzeitig unterlassen, einen Völkermord zu verhindern, weil der Politiker oder die Wählerschaft früher beschlossen haben, ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu richten.

Es gibt auch nicht vorsätzliche Unterlassungen. In solchen Fällen ist die Tatsache, dass die Natur und die Folgen einer Handlung nicht der Absicht der handelnden Person entsprechen, nicht die Folge seiner oder ihrer früheren Aktivitäten. Solche Fälle sind wichtig und erfordern Beachtung, aber im Augenblick müssen wir uns nicht weiter damit befassen.

Es hat Versuche gegeben, einen realen Unterschied zwischen Handlungen und Unterlassungen zu finden, wonach zwischen beidem ein allgemeiner Unterschied in Bezug auf Recht und Unrecht besteht. Diese Versuche waren niemals erfolgreich. Es hat auch Versuche gegeben, zu zeigen, dass Handlungen, deren voraussichtliche Konsequenzen identisch mit denen einer Unterlassung sind, ein Unrecht sein können, während die Unterlassung kein Unrecht ist. Auch diese Versuche hatten keinen Erfolg. 

Der wichtigste Versuch betrifft die Absicht und scheitert aus einem von jedermann akzeptierten Grund, nämlich dem, dass es nicht die Absicht der handelnden Person ist, die eine Handlung gut und richtig macht. Es leuchtet ein, dass zwei Handlungen schlecht und falsch sein können, von denen die eine in bester und die andere in bösester Absicht begangen wird. Der einfachste Fall ist der, in dem die beste Absicht mit einem furchtbaren aber nicht schuldhaften Irrtum aus Glaubensgründen verbunden ist. Häufig tun Menschen auch aus niedrigen Beweggründen das Richtige. Die Tatsache, dass man für eine solche Tat kein moralisches Lob erhält, macht die Tat nicht schlecht. Ferner macht ein integrer Charakter eine Tat ebenso wenig gut wie die Absicht. Hitlers Taten wären auch dann nicht gut und richtig, wenn zweifelsfrei bewiesen wäre, dass er persönlich integer war und seinen tiefsten Überzeugungen treu blieb.

 Das Prinzip der Menschlichkeit verleiht den Absichten, der moralischen Verantwortung der Menschen für ihre Handlungen und dem bleibenden Ansehen, dem Anstand und der Menschlichkeit der handelnden Personen dennoch große Bedeutung. Es verleiht all diesen Dingen Bedeutung in Relation zu dem, was grundsätzlich wichtig ist – für die richtige Handlung, die richtige Praxis, Institution, Außenpolitik und den richtigen Beitrag zu einer bestimmten Art von Welt zu sorgen. Und ich wiederhole, dass es für die Frage nach Recht und Unrecht all dieser Handlungen usw. keinen großen Unterschied macht, ob es sich um Taten oder zumindest teilweise vorsätzliche Unterlassungen handelt.

In dieser Hinsicht ist das Prinzip nicht ungewöhnlich. Wer glaubt schon oder spricht es aus, wenn er so denkt, dass es in Ordnung ist, jemanden oder ein halbes Volk verhungern zu lassen, weil man sich gerade mit etwas anderem beschäftigt? Wer glaubt, dass es richtig ist, sein Leben, vielleicht sein politisches Leben, einfach so fortzusetzen, während die großäugigen Kinder auf den Fotos langsam dahinsterben? Selbst wenn es konservative Eigentumsphilosophen geben sollte, die Entschuldigungen und Rechtfertigungen für uns finden, so sind doch das moralische Empfinden und die Moralphilosophie im allgemeinen in dieser Hinsicht nicht mehr so schamlos im Erfinden von Ausflüchten, wie das früher der Fall war.

Es gibt noch eine weitere hiermit verwandte, aber weniger bedeutende Angelegenheit, auf die hier hingewiesen werden muss. Sie werden natürlich verstanden haben, dass das Prinzip der Menschlichkeit von uns verlangt, dass wir alle vorhersehbaren Konsequenzen einer Handlung in Bezug auf ein schlechtes Leben für andere bedenken. Nur im Hinblick auf ein schlechtes Leben für Muslime, Juden oder irgendeine andere Gruppe zu handeln, stünde in krassem Widerspruch zu dem Prinzip. Das Verhindern von schlechten Lebensumständen ist von entscheidender Bedeutung. Folglich ist es auch nicht möglich, zu sagen, dass beim Abschießen einer Rakete oder dem Zünden einer Bombe nur die mehr oder weniger beabsichtigten Todesfälle bedacht werden müssen, die vorhersehbaren aber nicht beabsichtigten Todesfälle, der Tod von gewissermaßen Unschuldigen jedoch nicht. Auf dieses Thema, dass nicht nur für das Prinzip der Menschlichkeit sondern auch für andere Moralvorstellungen eine Rolle spielt, werden wir noch zurückkommen.

Lassen wir nun das Verhältnis von Taten und Unterlassungen beiseite und wenden uns dem Zweck oder Ziel des Prinzips der Menschlichkeit zu. Wenn es das grundlegende Prinzip der Gerechtigkeit und des Anstands ist, kann sein Zweck oder Ziel nicht Gleichheit sein. Das Ziel besteht nicht darin, alle Menschen auf das gleiche Niveau zu bringen oder gar gleich zu machen. Das Ziel ist in keiner Weise relational und hat mit den umstrittenen Seiten des Egalitarismus nichts zutun. Es gibt keinen Anlass zu der Frage, „Was ist so gut daran, die Menschen gleich zu machen, wenn es ihnen besser geht, wenn sie nicht gleich sind?“ Wie gesagt besteht das Ziel darin, die Menschen aus schlechten Lebensumständen zu retten. In einer Welt, in der alle Menschen genau gleiche Lebensumstände hätten, nämlich genau gleich schlechte Lebensumstände, würde das Prinzip ebenso rasches Handeln erfordern. Es ist also ein Prinzip der Menschlichkeit, des Zusammengehörigkeitsgefühls und der Großmut und nicht ein Prinzip der Gleichheit – trotz der großen Bedeutung einiger Arten von Gleichheit, vor allem der gleichen Freiheitsrechte, die als Mittel zum Zweck des Prinzips von großer Bedeutung sind.

Das Prinzip der Menschlichkeit ist die Grundlage der Moral der Menschlichkeit. Es ist eine Zusammenfassung, wie sie für jede Moral notwendig ist, ihre Basis und ihre Logik. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Prinzip in sich selbst die gesamte Moral ist. Ein weiterführendes und notwendiges Verständnis der Moral der Menschlichkeit ergibt sich erstens aus einer Anzahl von politischen Maßnahmen und Praktiken, die dem Prinzip zusätzlichen Inhalt geben, und zweitens aus einer Beschreibung ihres Charakters.

Die erste politische Maßnahme ist der Transfer bestimmter materieller und anderer Mittel zum Wohlergehen von den Bürgern, die besser daran sind, zu den Menschen, denen es schlecht geht. Gemeint sind Mittel, deren Transfer das Wohlbefinden derer, denen es besser geht, nicht besonders stark beeinträchtigen würde. Es gibt eine immense Menge solcher Mittel, die heute verschwendet werden. Denken Sie daran, was wir alles wegwerfen, und was noch wichtiger ist, was Firmen und Konzerne alles wegwerfen und dem Verfall oder der Zerstörung überlassen. Denken Sie an die Verpackungsindustrie, an die Kosten des wirtschaftlichen Wettbewerbs, die niemandem etwas nützen.  

Die zweite politische Maßnahme ist ein Transfer von Mitteln, der das Wohlbefinden der Wohlhabenderen tatsächlich schmälern würde, ohne jedoch die Anzahl von Menschen, die ein gutes Leben haben, zu verringern. Die Menschen, denen die betreffenden Mittel weggenommen würden, hätten immer noch ein gutes Leben. Es gibt eine immense Menge solcher Mittel. Wie im Fall der ersten politischen Maßnahme bestehen einige davon in Grund und Boden und dem Land eines Volkes. Dies ist unter anderem der Grund, warum das, wovon hier die Rede ist, nicht Rawls Gerechtigkeitstheorie oder eine Variante davon ist.

Die dritte politische Maßnahme ist besonders wichtig und besteht in materiellen leistungssteigernden Belohnungen. Sie müssten auf das tatsächlich für das Ziel des Prinzips der Menschlichkeit notwendige Maß begrenzt sein. Es dürften nicht die heute geforderten Belohnungen sein, die dazu führen, dass das wohlhabendste Zehntel der Amerikaner 30 Prozent des Einkommens erhält und 70 Prozent des Wohlstands besitzt, während das ärmste Zehntel nur 2 Prozent bzw. gar nichts hat. Es dürften nicht die Belohnungen sein, die infolge der absurdesten aller Vorstellungen unseres Lebens gefordert werden, dass die Reichen so reich sein müssen wie sie sind, damit die Armen nicht noch ärmer werden. Es dürften nicht die Belohnungen sein, deren Fehlen nach dem Hurrikan von 2005 in New Orleans plötzlich für jedermann sichtbar wurde.

Sie werden natürlich der Meinung sein, dass diese drei politischen Maßnahmen etwas anderes ausschließen, dessen Ausschluss jedoch ausdrücklich als vierte politische Maßnahme dargestellt werden muss. Die Mittel zum Wohlbefinden dürfen nicht ohne dringende Notwendigkeit als angeblicher Anreiz oder sonst etwas, z.B. in Form einer angeblich vernünftigen Steuerpolitik, zu den Wohlhabenden umgelenkt werden, um ihr ohnehin schon zufriedenstellendes Leben noch zu verbessern. Eine solche Mast muss ausgeschlossen werden.

Die fünfte Art von Politik, die ebenfalls in den anderen enthalten ist, richtet sich gegen Gewalt und gewaltähnliche Zustände, also gegen Terrorismus und Krieg. Aber wie jede Politik, die zu Recht realistisch genannt wird, kann sie nicht in einem absoluten Verbot bestehen. Wie jede Politik bietet sie die Möglichkeit eines gerechtfertigten Krieges. Manche alternative Arten von Politik, von denen eine sich auf die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen abstützt, erwägen sogar die Möglichkeit einer gerechtfertigten Handlung, die unter die Bezeichnung Terrorismus fällt. Wenn sie in begrenzter Form zwischen staatlichem und nicht staatlichem Töten unterscheidet, schließt sie einige oben erwähnte Dinge nicht von vornherein aus, vor allem nicht jede Gewalt von Opfern, deren Unterdrücker ihnen keine andere Wahl lassen, um dann scheinheilig die Gewalt zu verurteilen. Diese Art von Politik erkennt auch die Notwendigkeit einer Polizei, die Notwenigkeit staatlicher Strafmaßnahmen, der Selbstverteidigung usw. an.

Weiteres Verständnis des Prinzips der Menschlichkeit ergibt sich aus der Praxis, soweit sie sich von der Politik unterscheidet.

Wie gesagt, besteht der Zweck oder das Ziel des Prinzips der Menschlichkeit darin, die Menschen aus einem schlechten Leben herauszuholen, aber nicht darin, das Leben aller gleich zu machen – auch wenn im Verlauf des Weges zum Ziel erhebliche Nebeneffekte der Gleichheit im Spiel sein können. Das Gegenargument gegen den Egalitarismus, dass es keine Rolle spielt, ob jemand mehr oder weniger oder ebenso viel hat wie ein anderer, sondern nur darauf ankommt, wie viel sie haben, betrifft das Ziel des Prinzips der Menschlichkeit nicht. Aber das Ziel der Menschlichkeit steht nicht im Widerspruch zur Anwendung bestimmter Praktiken der Gleichheit, um Menschen aus einem schlechten Leben herauszuholen. Die Praktiken zum Erreichen von Gleichheit sind nicht die einzigen, aber die wichtigsten Verfahren, mit deren Hilfe das Ziel erreicht werden kann, Männer, Frauen und Kinder vor Not, Elend und Unglück zu bewahren.

Ein wichtiger Punkt ist bereits im Zusammenhang mit den Argumenten für eine gute Demokratie zur Sprache gekommen. Die erste Möglichkeit, die moralischen Rechte von Bürgern zu sichern, die unter schlechten Bedingungen leben, besteht darin, ihnen die gleiche Stimme zu geben. Eine zweite Möglichkeit ist die, ihnen selbst die Chance zu geben, ihre moralischen Rechte einzufordern, indem dafür gesorgt wird, dass ihre Stimmen gehört werden. Sie müssen ebenso gehört werden wie alle anderen oder, besser gesagt, wie einige von den anderen. Jede Praxis zum Erreichen von Gleichheit, die diesem Zwischenziel, einem Fortschritt der Demokratie, dient, muss auch der Menschlichkeit dienen.

Andere Praktiken zum Erreichen von Gleichheit sind ebenso wichtig. Eine davon ist echte Chancengleichheit. Dazu gehören mit Sicherheit besondere Chancen für solche Menschen, denen keine Mittel zur Entwicklung und zum Nachweis ihrer Fähigkeiten zur Verfügung standen. Andere Praktiken betreffen die Tatsache, dass wir alle Mitglieder der gleichen Spezies sind. Trotz aller Unterschiede, die zwischen uns bestehen, haben wir gemeinsame Bedürfnisse. Daraus geht hervor, dass wir, wenn wir schlechte Lebensumstände verbessern wollen, auf der Basis der  Gleichheit vorgehen müssen, vor allem und zuerst in Bezug auf Nahrung.

Hierzu muss ein wichtiges Element hinzugefügt werden, an das Sie sich zweifellos erinnern werden. Freiheit, ein wichtiger Bestandteil eines guten Lebens, geht Hand in Hand mit Gleichheit oder hängt zumindest von ihr ab. Wie viel Freiheit Sie genießen, hängt davon ab, wie viel Freiheit ich genieße. Das Mittel zur Freiheit ist Gleichheit. Aber das macht die Gleichheit, die ein relatives Gut ist, nicht zum Ziel eines Freiheitskampfes. Ziel des Kampfes bleibt die Freiheit, ein Punkt auf einer Skala, die Tatsache der Freiwilligkeit und der Freiheit von Zwang, die in sich in keiner Beziehung zu anderen Punkten auf der Skala steht.

Diese Beschreibung des Prinzips der Menschlichkeit, oder zumindest der größte Teil davon, legt den Gedanken nahe, dass es ein Prinzip für eine wichtige Seite des Lebens, aber kein vollständiges Prinzip ist. Aus seiner Zielsetzung und Konzentration und insbesondere aus der Rolle der staatlichen Politik könnten Sie schließen, dass es das Privatleben oder die Beziehungen zwischen Menschen, die alle ein gutes Leben haben, oder die Beziehungen zwischen Männern und Frauen oder religiöse Fragen oder Abmachungen zwischen Individuen und dergleichen nicht abdeckt. Das trifft aus diversen Gründen nicht zu.

Erstens gibt es in allen Bereichen unserer Existenz schlechte Lebensumstände. Wenn Sie ferner annehmen, dass eine Moralvorstellung besondere Teile für das Privatleben, für die Beziehungen zwischen Menschen mit guten Lebensumständen usw. beinhalten muss – Regeln oder Ideale oder was auch immer, die sich auf all das beziehen – dann sagt das nichts gegen das Prinzip der Menschlichkeit aus. Was auch immer zu diesen Dingen gesagt und getan wird, muss mit dem Prinzip selbst übereinstimmen und seinem Ziel dienen.


Der Charakter des Prinzips

Ein Aspekt der Moral der Menschlichkeit, der ebenso wichtig ist wie die bereits besprochenen Aspekte –  das Prinzip bezüglich schlechter Lebensbedingungen, das ihre Quintessenz ist, die Beurteilung von Unterlassungen, die politischen Maßnahmen und Praktiken – ist der Charakter oder die Natur des Prinzips und der Moral. Dieser Charakter oder diese Natur beinhaltet vielerlei, was ja auch bei anderen Prinzipien oder Moralvorstellungen der Fall ist.

Das Prinzip bleibt nicht unberührt von Gedanken über Moral oder seinen Charakter. Es ist, um es einfach auszudrücken nicht von Unwissenheit, Naivität, Einfalt, Egoismus oder politischem Taktieren geprägt. Es wird dadurch davor bewahrt, unreflektiv zu sein, dass es ein bisschen Philosophie enthält.

Wenn wir gemäß dem Prinzip anerkennen, dass ein anständiges moralisches Prinzip zurecht als solches bezeichnet wird, nämlich als anständiges moralisches Prinzip, und etwas derartiges ebenso wichtig ist wie die Wahrheit selbst, so müssen wir auch die Tatsache berücksichtigen, dass jedes derartige Prinzip eine Geisteshaltung ist - eine Geisteshaltung, die von Tatsachen und allgemeiner Logik bestätigt werden kann.  Wir müssen davon ausgehen, dass jede Geisteshaltung auf einer besonderen
Wertschätzung von irgendetwas beruht und daher Wünsche beinhaltet, wobei das, was geschätzt wird, klar und vollständig erkannt werden kann oder auch nicht.

Deshalb müssen wir auch nicht davon ausgehen, dass andere oder konkurrierende Moralvorstellungen und politische Richtungen anders sein oder eine andere Stellung einnehmen könnten oder weniger durch Fakten und Logik untermauert sein müssten. Wir müssen nicht davon ausgehen, dass das Prinzip der Menschlichkeit mit Alternativen oder konkurrierenden Prinzipien mit größerer Autorität, Glaubwürdigkeit oder Akzeptanz konfrontiert werden könnte. Im Rahmen des Prinzips müssen wir das wohlbekannte Gerede der meisten Politiker, ihr defensives, zeitlich gebundenes Geschwätz, z.B. dass dieses oder jenes inakzeptabel sei, in keiner Weise respektieren. Das Prinzip erfordert keine Anbetung der Moral, die kein denkender Mensch ertragen kann.

Die Moral ist nicht gottgegeben und geht auch nicht auf alte Texte oder eine wie auch immer geartete Religion zurück. Sie ist nicht nur Personen mit besonderer Wahrnehmungsfähigkeit und Empfindsamkeit gegeben. Sie ist auch nicht nur einer sozialen Klasse oder der Tradition eines Volkes gegeben und wird nicht durch ihren Erfolg bewiesen, am wenigsten durch ihren materiellen Erfolg oder ihr gewöhnliches Betragen. Sie beruht auch nicht auf irgendeiner anderen Eigenschaft eines Volkes, wie seiner Macht oder Schwäche. Moral ist wie gesagt nicht das Eigentum einer politischen Tradition oder Richtung oder an ein Bekenntnis zur Demokratie gebunden, ganz zu schweigen von demokratischen Politikern.

Erinnern Sie sich an meine Bemerkung zu den Realpolitikern, die lange jede Moral als Ansammlung von reinen Werturteilen, als Subjektivität und Gefühlsduselei und dergleichen abgetan haben? Der Unterschied zwischen all dem und dem oben gesagten besteht darin, dass eine Moralvorstellung nicht mehr und nicht weniger als jede Geisteshaltung von Fakten und Logik untermauert sein kann.

Eine zweite Eigenschaft des Prinzips der Menschlichkeit ist die, dass es wörtlich genommen werden muss. Es ist nicht das, was der schätzenswerte Bill Clinton in fast den gleichen Worten geäußert hat und was man sich auch als Ausspruch von Brown von der New Labour Party vorstellen kann, in den manche Leute immer noch ihre Hoffnung setzen, obwohl er bisher durch keine öffentliche Handlung gezeigt hat, dass er anders ist als sein Parteiführer Blair. Man kann sagen, dass das Prinzip eine sprachliche Tat ist, die sich von der ihren unterscheidet.

Das Prinzip verlangt von uns, dass wir unsere Führer und ihre Mitarbeiter moralisch dafür verantwortlich machen, wenn sie es auf eine Art verletzen, die bei uns Gefühle gegen kleinere Übeltäter in unseren Gefängnissen auslösen. Das Prinzip kennt in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen einem Premierminister und einem Kinderschänder, einem Vergewaltiger oder einem Mörder, was immer sonst noch dazu gesagt werden kann.

Das Prinzip darf aber auch nicht als Ermahnung verstanden werden, von der von vornherein angenommen wird, dass sie in der realen Welt nicht befolgt wird oder befolgt werden kann. Wir sollen tatsächlich vernünftige Schritte unternehmen, um Menschen aus schlechten Lebensbedingungen herauszuholen und zu halten, und uns nicht mit Ersatzhandlungen begnügen, wie z.B. den Konzerten wohlmeinender Rock-Stars zugunsten der Armen in Afrika, die gerade dann stattfinden, wenn die reichsten Nationen der Welt wieder einmal zusammenkommen und wieder einmal nichts Effektives gegen die Armut unternehmen.

Sie werden nun endgültig begriffen haben, dass das Prinzip nicht das des Konservativismus oder des Liberalismus ist. Das, was Quelle und Inspiration der Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, vieler UNO-Resolutionen, wichtiger Teile des übrigen Völkerrechts und, wie ich meine, auch der Doktrin vom gerechten Krieg war, kommt dem Prinzip der Menschlichkeit sehr nahe. Es war auch der Leitstern oder das Ideal der politischen Linken, solange diese sich selbst treu geblieben ist.

Das bedeutet, wie Sie sich vorstellen können, nicht, dass das Prinzip die gesamte Theorie, alle Tendenzen, Praktiken und sonstige Mittel sämtlicher Traditionen, Parteien und Personen in Geschichte und Gegenwart der politischen Linken sanktioniert. Das Prinzip ist nur das Prinzip selbst und nicht irgendetwas anderes. Seine Erklärung hängt von keiner anderen Ideologie ab. Es bleibt unberührt von Widersprüchen, die durch Fehler bei seiner Interpretation oder bei dem Versuch, es zu befolgen, entstehen. Es wäre absurd, anzunehmen, dass es von der Tatsache berührt wurde, dass eine Mauer fiel als ein mächtiger Staat zusammenbrach.

Sie werden ebenfalls begriffen haben, dass das Prinzip der Menschlichkeit sich viertens dadurch von anderen unterscheidet, dass es nicht mit reinen Oberbegriffen wie Glück, Wohlbefinden, Mangel, Gerechtigkeit, Fairness und dergleichen operiert, ganz zu schweigen vom Allgemeinwohl oder der Öffentlichkeit. Es ist nicht so theoretisch, dass es die Welt aus den Augen verliert.

Es hat also keine Ähnlichkeit mit dem Utilitarismus oder sonst einer Moralvorstellung von Wirtschaftswissenschaftlern, die vom allgemeinen Glück oder allgemeiner Zufriedenheit oder sonst etwas ausgehen, das auch wohlmeinende Menschen dazu verleitet, die negativen Folgen des allgemeinen Glücks für das Individuum zu übergehen und die Opfer zu übersehen oder gar zu rechtfertigen. Das Prinzip der Menschlichkeit lenkt die Aufmerksamkeit auf Realitäten, die es uns nicht so leicht gestatten, das Leben anderer zu übersehen, uns über sie zu erheben oder sie zu missachten. Seiner Natur nach ist es dem Leben anderer näher als unserem eigenen.

Das Prinzip ist also klar. Es hat nichts von der hoffnungslosen Unbestimmtheit von Kants gefeiertem Imperativ an sich, der ebenfalls als Prinzip der Humanität bezeichnet wurde. Damit wurde gefordert, dass wir jeden Menschen als Zweck und nicht nur als Mittel zum Zweck behandeln sollen. Darunter kann man fast alles verstehen, selbst eine milde Ermahnung, alle Menschen zu respektieren, eine Ermahnung, die es uns auch möglich macht, sie im Elend zu lassen.

Unser Prinzip hat trotz aller Geistesverwandtschaft aber auch nichts von der mangelnden Fassbarkeit des Gebotes, ‚Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst‘ an sich. Es beinhaltet mehr als die gut gemeinte Unterstützung des Erzbischofs von Canterbury.

Um auf etwas noch Wichtigeres zu sprechen zu kommen, das Prinzip der Menschlichkeit ist sechstens in vielerlei Hinsicht ein Prinzip der Wahrheit. Die Verpflichtung zur Wahrheit ist sogar so etwas wie seine Grundlage.
Wie Sie sich vorstellen können, bietet das Prinzip keinen Raum für orthodoxe Ansichten und Reaktionen, die vorgebracht oder akzeptiert werden und von denen viele mutmaßliche Fakten und insbesondere mutmaßliche Notwendigkeiten betreffen. Dem Prinzip zufolge kann man den Terrorismus nicht immer als etwas anderes, z.B. als Widerstand bezeichnen, was dazu verleiten würde, das Töten und Verstümmeln unbeachtet zu lassen. Dennoch muss die Tatsache anerkannt werden, dass Terrorismus wirklich etwas anderes sein kann, beispielsweise Widerstand gegen ethnische Säuberungen. Das Prinzip gestattet es uns nicht, die Hälfte der Tatsachen auszulassen, wenn wir etwas beurteilen. Wir dürfen die Dinge nicht nur von einem lokalen Standpunkt aus betrachten. Das Prinzip verpflichtet uns, das Leugnen, die Ausflüchte und das Vergessen der Wahrheit zu verachten, die die Folge sind, wenn man nur das Leben bestimmter Menschen für wichtig hält. Es steht in krassem Gegensatz zu der verbrecherischen Geisteshaltung von Leuten, die sich auf das Recht auf Selbstverteidigung berufen und im Namen ihres Volkes erklären, „das Leben unserer Leute kommt zuerst“.

Das Prinzip ist keiner Konvention unserer Gesellschaften verpflichtet. Wenn Überlegung und Debatten und selbstverständlich Logik und insbesondere diskutierte Erweiterungen der Sicht unabdingbare Bestandteile des Prinzips sind und dieser Umstand ein Hindernis für direkte oder indirekte Versuche sind, zu etwas aufzustacheln, so müssen wir auch nicht vor der Tatsache zurückscheuen, dass manche Antworten auf Probleme als furchtbar bezeichnet worden sind. Das Prinzip enthält nichts, das uns verpflichtet, die bestehenden Mächte zu respektieren, auch nicht die demokratischen Mächte, sondern erfordert im Gegenteil, dass wir zumindest ihren Selbstbetrug mit Zynismus betrachten. Wir müssen die Anordnungen von Politikern in Bezug auf bestimmte moralische Beurteilungen wie die Beurteilung des Tötens von Menschen nicht befolgen, die manchmal darauf abzielen, dass wir alle dies verabscheuen sollen, und manchmal, wenn auch in verdeckter Form, fordern, dass wir den Politikern ein Monopol zum Töten überlassen sollen. Wir müssen bereit sein, über grauenhafte Untaten nachzudenken, wenn auch nicht am 11. September oder am 7. Juli, dann doch kurz danach. Wenn auch nicht an dem Tag in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila oder dem Tag in Bagdad, dann doch kurz danach.

Wie sie erwarten werden, erfordert das Prinzip öffentliche Untersuchungen, die zu relevanter Wahrheit führen, und eine öffentliche Führung öffentlicher Angelegenheiten, die zu relevanter Wahrheit führt. Das Prinzip ist eine Geisteshaltung, die in krassem Gegensatz zu der in alberner Weise resoluten Haltung steht, die die Regierung Blair im Jahr 2006 und davor im Fernsehen zur Schau trug, einer Haltung die im Gegensatz zu der gesamten Geschichte der Intelligenz steht und davon ausgeht, dass die Antwort auf eine Frage in einer ausweichenden Ansprache bestehen könnte.

Nicht ganz so wichtig ist die Tatsache, dass man gemäß dem Prinzip zwischen angemessener philosophischer Höflichkeit und Schmeichelei unterscheiden muss. Ebenso wie zwischen dem Erwägen der Meinung anderer und dem Vorgeben, dass alle Meinungen es wert seien, respektiert zu werden. Aus dem Prinzip geht hervor, dass Nozicks Bild einer vollkommen gerechten Gesellschaft nur mit Verachtung betrachtet werden kann.

Beruht das Prinzip der Menschlichkeit nun tatsächlich auf Wahrheit als Grundlage, oder befasst es sich nur mit der  Wahrheit und fordert sie für andere?


Die Stärke des Prinzips

Das Leben wäre leichter, wenn die Moral einfacher wäre. Aber die Schlüsse, die zu ziehen wir auf dem besten Wege sind, die Schlüsse zu den Schrecknissen vom 11. September und dem 7. Juli, den Ereignissen in Palästina und in Irak und dem Licht, dass durch die früheren Ereignisse auf die späteren geworfen wird, hängen nicht nur von den oben geschilderten Grundlagen des Prinzips der Menschlichkeit ab. Aber so notwendig ein allgemeines Prinzip auch sein mag, es gibt Dinge, die klarer sind und schwerer wiegen. Dass es eine monströse Übeltat ist, wenn ein Mann ein Kind um seiner sexuellen Erregung willen foltert, ist eine offensichtlich wahre Tatsache. Das Prinzip der Menschlichkeit hängt stärker von solchen moralischen Wahrheiten ab, als die moralische Wahrheit vom Prinzip abhängt.

Die Moral der Menschlichkeit beinhaltet, wie jede Moral, die Summe der darin vertretenen Anschauungen, zu denen auch das Prinzip samt seiner Natur oder seinem Charakter gehört, und bezieht ihre Gültigkeit daraus. Die dazu gehörigen politischen Maßnahmen und Praktiken sind Teil ihres Inhalts. Das gleiche gilt für die besonderen Konsequenzen des Prinzips, von denen einige nur im formalen Sinn als Konsequenzen bezeichnet werden können und als moralische Wahrheiten ihre eigene Gültigkeit haben.

Manche Konsequenzen, ob sie nun eigenständige moralische Wahrheiten sind oder nicht, beziehen sich auf Terrorismus und Krieg. Eine weitere Konsequenz ist das Unrecht unserer hierarchischen Demokratie. Sie ist in ihrer Ungleichheit und Unfreiheit und mehr noch durch die menschlichen Tatsachen, die sich aus der Verteilung von Wohlstand und Einkommen ergeben, nicht nur dumm, sondern auch eine Verletzung des Prinzips der Menschlichkeit. Hinzu kommt die moralische Verantwortung der Menschen, die von dieser Demokratie profitieren und sie in alle Ewigkeit erhalten wollen. Vieles über die Moral der Menschlichkeit lernt man aus solchen Konsequenzen, die einen beträchtlichen Teil ihres Inhalts ausmachen.

Trotz all dem ist es das Prinzip der Menschlichkeit, das alles andere zusammenfasst und die Möglichkeit der Folgerichtigkeit aller in der Moral enthaltenen Gewissheiten und Urteile eröffnet. Ein solches allgemeines Prinzip ist, wie gesagt, von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist für die Fälle ausschlaggebend, in denen keine absolute Gewissheit besteht, also in den meisten Fällen.

Gibt es ein allgemeingültiges Argument für das Prinzip der Menschlichkeit? Könnte es etwas geben, das man als Beweis bezeichnen könnte, wie es mir manchmal möglich erschien? Gleich zu Beginn dieser Untersuchung haben wir festgestellt, dass wir alle dem Prinzip der Menschlichkeit irgendwie verpflichtet sind. Das ist eine Folge unserer menschlichen Natur. Es hat etwas mit unseren fundamentalen Wünschen zu tun, unserer Sehnsucht nach den großen Gütern, aber auch mit der Tatsache, dass wir in minimalem Sinn rational sind und Gründe, manchmal moralische Gründe, für die Dinge haben.

Im Grunde genommen handelt es sich um ein Argument für Folgerichtigkeit, die auf starken Prämissen beruht. Es kann die Leute nicht daran hindern, inkonsequent zu sein. Kein noch so gutes Argument für irgendetwas kann in sich selbst ein zwingender Grund sein. Aber in diesem Fall muss für Inkonsequenz ein Preis bezahlt werden, den nur wenige bezahlen wollen und können. Wenn Sie sagen, dass etwas richtig ist, und dann sagen, dass etwas Gleichartiges falsch ist, sagen Sie gar nichts aus. Ein Widerspruch bestätigt nichts und stellt keinen Grund für irgendetwas dar. Sie wollen aber einen Grund haben und Sie behaupten, einen Grund zu haben. Das trifft für uns alle zu.

Das Argument der Folgerichtigkeit des Prinzips der Menschlichkeit beinhaltet eine Anzahl von Voraussetzungen. Sie können anhand verschiedener Situationen dargestellt werden in denen man etwas wählen kann.

Sie werden mir zustimmen, dass es unserer menschlichen Natur entspricht, dass Sie sich, wenn sie die Wahl haben (1) entweder selbst aus einem schlechten Leben herausgeholt zu werden und ein gutes Leben zu bekommen, oder (2) jemand anderem, der bereits ein gutes Leben hat, zu einem noch besseren Leben zu verhelfen, für die erste Möglichkeit entscheiden. Ferner werden Sie ihre Entscheidung damit begründen, dass sie richtig und gerecht ist. Es ist richtig und gerecht, dass es wichtiger ist, Sie aus Entbehrungen und Elend oder Todesangst zu retten, als den Wunsch eines anderen nach den großen Gütern des Lebens noch stärker zu befriedigen. Der Grund, Hilfe für Sie selbst zu bekommen, ist seiner Natur nach allgemein. Das sind alle Gründe. Ihre Überzeugung über sich selbst und Ihren gerechtfertigten Anspruch bringt Sie auf den Weg zum Prinzip der Menschlichkeit oder lenkt Sie zumindest in diese Richtung.

So glauben Sie beispielsweise dass es falsch ist, wenn Sie einen Monat lang langsam verhungern und Ihr Leben in Gefahr gebracht wird, damit ich ein eigenes Auto besitzen kann und nicht mit dem Bus zur Arbeit fahren muss. Ganz zu schweigen davon, dass Sie hungern müssen, damit meine Familie zwei Autos besitzen kann. So glauben Sie beispielsweise auch, dass es falsch und schlecht wäre, Sie in einem Gefängnis in Bagdad sexuell zu erniedrigen, wenn dadurch nichts anderes gewonnen würde, als dass ich mein gutes Leben in Washington noch zusätzlich verbessern könnte.

Ihr Grund, sich zu wünschen, nicht zu verhungern oder nackt an einer Leine herumgeführt zu werden, bindet sie infolge seines allgemeinen Charakters an Forderungen für andere Menschen in Bezug auf Verbesserungen oder Verschlechterungen ihres Lebens. Die Tatsache, dass darüber diskutiert werden kann, ändert nicht viel an der Sache.

Man kann aber auch einwenden, dass hier eine Schwierigkeit besteht. Der umgekehrte Fall ist ebenfalls war. Wenn Sie vor der Wahl stehen, ob Ihr eigenes bereits gutes Leben noch weiter verbessert werden soll, oder ob ein anderer aus einem schlechten, aber vielleicht annähernd guten Leben herausgeholt werden soll, ziehen Sie vielleicht das erstere vor und bringen irgendeinen moralischen Grund dafür vor. Vielleicht reden Sie von Verdiensten oder dem Stammbaum Ihrer Familie, von Rasse oder einer ethnischen Gruppe, von Demokratie oder sogar von historischen Gründen. Sie wären damit nicht allein.

Sie könnten mit Widerspruch konfrontiert werden. Man könnte Ihnen entgegenhalten, dass es sich im Grunde genommen um identische Situationen handelt, dass Sie aber, wenn Sie in der schlechteren und nicht in der besseren Position wären, anders urteilen würden. Man würde Sie also an die erste Situation erinnern, in der Sie wählen sollten. Aber weder für Sie noch für denjenigen, der Ihnen widerspricht, wäre es leicht, die Oberhand in dieser Diskussion zu gewinnen, in der es letztlich darum gehen würde, ob die Situationen tatsächlich identisch oder ähnlich genug sind. Lassen wir dieses Problem ungelöst und wenden uns anderen Situationen zu.

Stellen Sie sich vor, Sie würden über zwei andere Menschen nachdenken, zu denen Sie keinerlei Verbindung in dem Sinn haben, dass einer davon Ihnen besonders sympathisch wäre oder Sie sich mit ihm identifizieren würden. Wenn Sie die Wahl zwischen der Befreiung aus einem schlechten Leben für den einen und einer Verbesserung eines bereits guten Lebens für den anderen hätten, würden Sie sich für das erstere entscheiden und ihre Entscheidung für richtig und gut halten. Dazu würden Sie trotz aller Ideen von Verdiensten oder was auch immer tendieren. Nur wenige Menschen sprechen im Zusammenhang mit den großäugigen Kindern vom Privateigentum.

Denken Sie nun an eine dritte Situation. Wenn Sie die Wahl zwischen Möglichkeiten haben, die nur sie selbst betreffen, erstens der Möglichkeit, aus einem schlechten Leben zu entkommen, und zweitens der Möglichkeit, Ihr bereits gutes Leben zu verbessern, werden Sie sich für die erste Möglichkeit entscheiden und diese rechtfertigen. Wenn es einige Ausnahmen dieser Politik des Maximierens/Minimierens gibt, Ausnahmen die den Reiz des Risikos oder des Glücksspiels haben, können wir sie mit Sicherheit unbeachtet lassen, weil sie keine großen Konsequenzen haben. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Wahl, entweder von Flussblindheit geheilt zu werden oder einen schnelleren Wagen zu bekommen. 

Es leuchtet nicht ohne Weiteres ein, wie man diese Situationen benutzen kann, um ein Argument für das Prinzip der Menschlichkeit zu konstruieren. Es gibt keinen perfekten Beweis. Wir können nur argumentieren, dass wir unsrer Natur nach eher dazu neigen, die Anzahl von Menschen mit schlechten Lebensumständen zu reduzieren, als gute Lebensumstände zu verbessern. Dieses Argument macht aus dem Prinzip keine gewöhnliche Wahrheit, bedingt durch Voraussetzungen, die erwiesenermaßen im gewöhnlichen Sinn wahr sind. Aber das Argument kann das Prinzip als dasjenige bestätigen, das am besten mit unsren Urteilen über uns selbst übereinstimmt, die wiederum die Quintessenz unserer Menschlichkeit sind. Sie sind wirkliche Grundlagen und Voraussetzungen der Wahrheit im gewöhnlichen Sinn. Kein anderes denkbares Moralprinzip hat solche Grundlagen.

Reicht das aus, um uns zu gestatten, von der moralischen Wahrheit des Prinzips zu sprechen? Wie gut muss ein allgemeingültiges Argument für ein Prinzip sein? Das ist nicht so ohne Weiteres ersichtlich. Es hat jedoch den Anschein, dass diese Überlegungen über die menschliche Natur eine bessere Begründung für das Prinzip der Menschlichkeit sind, als andere Überlegungen über die menschliche Natur oder sonst etwas für andere Prinzipien.

Es gibt noch etwas, das bedacht werden muss. Wir alle akzeptieren das Prinzip der Menschlichkeit auf eine weniger theoretische und vielleicht aussagekräftigere Weise. Wir akzeptieren es in tatsächlich erlebten Diskussionen und nicht nur in Reflexionen über imaginäre Diskussionen. Wenn Sie im wirklichen Leben mit jemandem über Recht und Unrecht in Bezug auf große Fragen diskutieren und erklären, dass Sie selbst von etwas wie dem Prinzip der Menschlichkeit ausgehen oder Ihre Ansichten damit begründen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Ihre Gesprächspartner zumindest am Ende erklären, dass dies auch für sie zutrifft.

Welcher Neo-Zionist, der ein ernstzunehmender Diskussionspartner ist, muss seine Meinung mit der alten religiösen Überzeugung vom auserwählten Volk begründen? Oder mit dem Glauben an ein historisches jüdisches Königreich, dem man problemlos andere historische Überlieferungen entgegenhalten kann? Welcher Neo-Zionist, der ein ernstzunehmender Gegner ist und der mit jahrhundertelanger Verspätung das Recht in Anspruch nimmt, ein anderes Volk zu zerstreuen und Schlimmeres zu tun, begründet dieses Recht mit einem göttlichen Gebot, das von niemand anderem anerkannt wird, oder mit einer halben Deklaration des britischen Außenministers Balfour oder mit der Demokratie? Sagt er, dass eine Bauernfamilie vertrieben werden und in einem Flüchtlingslager sterben muss, weil jemand eine Geldsumme an einen abwesenden Großgrundbesitzer in Paris bezahlt hat?

Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass Ihnen ein solcher Diskussionsgegner von den vielen Mitgliedern seines eigenen Volkes erzählen wird, die in der jüngsten Vergangenheit getötet worden sind, von Gefahr und gegenwärtiger Sicherheit, von Freiheit und Respekt und von Demütigungen, von der Wiedervereinigung seines Volkes, von seiner Kultur. Er wird Ihnen von Dingen erzählen, die wirklich wichtig sind.

Das gleiche gilt für Leute, die den islamischen Terrorismus verteidigen oder den Krieg in Irak rechtfertigen. Dadurch, dass sie mit den großen menschlichen Gütern argumentieren, zeigen sie, dass sie andere Erwägungen wie das Völkerrecht oder die Religion oder was auch immer an sich nicht für stichhaltige Grundlagen für ihre Argumentation halten. Kann Blair mit seinen Aussagen zum Irak-Krieg und zum Völkerrecht als eindrucksvolles Beispiel gelten? Nachdem er den Krieg zunächst mit dem Völkerrecht gerechtfertigt hatte, ging er zu Rechtfertigungen mit der Menschlichkeit über.

Das Prinzip der Menschlichkeit ist in sich noch keine allgemeingültige, auf Tatsachen beruhende Wahrheit. Wie alle anderen derartigen Dinge auch, ist es, wie gesagt, eine Geisteshaltung. Aber es ist eine einmalige Geisteshaltung. Es wäre absolut irreführend, wenn man sie als eine von vielen Werturteilen, als subjektiv, als relativen Moralbegriff oder Gefühlsduselei abtun wollte.


Die Zwecke und die Mittel heiligen die Mittel

Zwischen verschiedenen Moralvorstellungen oder Moralphilosophien wurde traditionell eine Trennungslinie gezogen, oder es wurde zumindest versucht, dies zu tun. Manchmal geschieht dies immer noch. Deontologische Moralvorstellungen und Moralphilosophien postulieren Pflichten, Verpflichtungen und Prinzipien, die nichts mit den vorhersehbaren Konsequenzen oder Ergebnissen von Handlungen zutun haben. Sie haben mit Werten zu tun, die sich vollständig von den großen sowie den weniger wichtigen menschlichen Gütern unterscheiden.

Die eindeutigsten dieser Werte können Pflichten oder, was noch wahrscheinlicher ist, Rechte sein, die angeblich ausschließlich wegen unserer Beziehungen zu anderen Menschen bestehen, beispielsweise zu unseren Kindern. Andere Prinzipien erhalten ihren Sinn durch die Behauptung, dass gute Absichten, vielleicht einfach der gute Wille, Integrität, moralische Intuition oder das Festhalten an Tugenden von fundamentaler Bedeutung dafür sind, wie wir unser Leben gestalten sollten. Oder es wird der Wert der Gerechtigkeit betont, wobei diese mehr mit dem Gesetz als mit den Vorzügen des Gesetzes oder der Rechte zutun hat, und diese Gesetze und Rechte ernst genommen werden, ohne ihnen eine Basis zu geben, die mit Hilfe von etwas wie dem Prinzip der Menschlichkeit erklärt, warum sie gut sein sollen.

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant behauptete, der reine gute Wille sei das einzige, worauf es ankomme. Er forderte auch, dass Versprechen trotz schlimmer oder gar katastrophaler Folgen eingehalten werden müssten. Ferner forderte er, dass alle Verbrecher mit der ganzen Härte des Gesetzes bestraft werden müssten, selbst wenn nicht wenigstens irgendetwas Gutes dabei herauskommt, was gewöhnlich gefordert wird. Nicht das Verhindern von Straftaten, sondern Vergeltung und die Tatsache, dass jemand Strafe verdient, seinen die einzige Rechtfertigung für Bestrafungen in einer Gesellschaft. Wenn ein Volk, das auf einer Insel lebt, beschließen würde, seiner Gesellschaft ein Ende zu machen und sich über die ganze Welt zu zerstreuen, so dass keinerlei gesellschaftliche Notwendigkeiten mehr bestünden, wäre es seine Pflicht, den letzten Mörder im Gefängnis hinzurichten, bevor die Leute die Boote besteigen.

Im Gegensatz dazu stehen die Moralvorstellungen und Moralphilosophien, die früher als teleologisch und heute als konsequenzialistisch bezeichnet werden. Sie fordern Prinzipien, Pflichten und dergleichen, die sehr wohl etwas mit den vorhersehbaren Konsequenzen zutun haben. Die Theorien, die versuchen, Strafen mit dem Verhindern von Straftaten zu rechtfertigen, sind die einfachsten Beispiele. Die englische Moralphilosophie des Utilitarismus war zwar ein Desaster, ist jedoch ein wichtiges Beispiel. Sie beeinflusst noch heute einen Teil des politischen und bürokratischen Denkens.

Aus verschiedenen Gründen ist die Trennungslinie zwischen den beiden Denkweisen zumindest undeutlich geworden. Ein einfacher Grund dafür ist der, dass die deontologischen Moralvorstellungen bis ins zwanzigste Jahrhundert hineingezogen wurden. Ihre Verfechter mussten zugeben, dass es nicht richtig sein kann, die schlimmen oder entsetzlichen Folgen von Handlungen bei der Beurteilung, ob sie schlecht oder gut sind, ganz einfach zu ignorieren. So können Versprechen manchmal gebrochen werden, und Bestrafungen müssen irgendwelche guten Zwecke erfüllen und nicht nur verdient sein, um gerechtfertigt zu sein. Aber meines Erachtens steht es um die deontologischen Teile der aktualisierten Moralvorstellungen gar nicht gut. Lassen Sie uns darüber nachdenken.

Was bedeutet es, wenn wir als Grund dafür, dass es richtig und gut ist, dass jemand etwas bekommt oder hat, angeben, dass er oder sie es verdient? Darauf wurde noch nie eine befriedigende Antwort gegeben, jedenfalls keine, die nicht das, was erst bewiesen werden müsste, bereits als feststehend voraussetzt, indem sie davon ausgeht, dass etwas, das jemand verdient, per definitionem richtig und gut sein muss. Was die Gründe anbetrifft, etwas wegen Ihrer Beziehungen zu einem oder mehreren anderen Menschen zu tun, z.B. zu Ihrem Kind oder zu Ihrem Volk, so ist es ohne Weiteres möglich, diese in beträchtlichem Maß mit den Moralvorstellungen von den guten Auswirkungen zu vereinbaren. Und, wie man argumentieren kann, ist es auch nicht moralisch vertretbar, wenn sie über dieses Maß hinausgehen.

Das bedeutet, dass die Moral der Menschlichkeit es mir gestattet und vorschreibt, mich in erster Linie um meine eigenen Kinder zu kümmern, weil sie unter anderem für Gleichheit ist. Aber sie gestattet mir nicht, sie fett zu mästen, während andere Kinder verhungern. Eine deontologische Moralvorstellung könnte mir dies praktisch erlauben. Sie könnte es mir erlauben, weil ich erkläre, dass sie meine Kinder sind. Kann das etwas anderes sein als Selbstsucht? Wird es durch Gefühl oder pompöse Erklärungen weniger selbstsüchtig?

Man könnte den Verdacht äußern, den ich tatsächlich hege, dass alle deontologischen Moralvorstellungen wertlos und unehrenhaft sind, ein Verrat an der Menschlichkeit, am anständigen Teil unserer Natur und ein Versuch, diesen Verrat für sich selbst und andere akzeptabel zu machen. Man kann davon ausgehen, dass wir alle in unserem Handeln von den großen Gütern, den Mitteln zu ihrer Erlangung und den damit verbundenen weniger wichtigen Gütern motiviert werden, und dass diese die einzigen moralischen und anderen Gründe für unser Handeln sind. Wenn also eine deontologische Moralvorstellung vollständig andere Gründe für unser Handeln angibt, verbirgt sich hinter den Worten ein ganz anderer Grund.

Wenn bezüglich der Verhängung von Strafen durch den Staat keine brauchbare Analyse der Begründung ‚Es ist richtig ihn zu bestrafen, weil er es verdient‘ geliefert werden kann, drängt sich einem die Frage auf, ob die Strafe vielleicht nur unserer eigenen Befriedigung dient, unserer Befriedigung über das Unglück eines anderen Menschen.

Was das Halten von Versprechen betrifft, so hat Kants angeblicher Beweis, dass ein gebrochenes Versprechen ein Widerspruch in sich selbst sei und das Halten eines Versprechens nichts mit guten Konsequenzen zutun habe, niemanden überzeugt. Und wer würde eine Welt voller guter Absichten, die aber auch voll ist von Todesangst, Elend und Entbehrungen, einer Welt voller böser Absichten vorziehen, in der bezüglich der großen Güter dennoch alles gut läuft? Es wäre wahnsinnig, so zu denken.

Die Moral der Menschlichkeit ist eine konsequenzialistische Moral. Sie beurteilt die Richtigkeit der Dinge anhand der vorhersehbaren Konsequenzen. Sie beurteilt die Richtigkeit von Handlungen, politischen Richtungen, Praktiken, Gesellschaften und möglichen Welten anhand ihrer vorhersehbaren Konsequenzen, und was vielleicht noch hinzugefügt werden sollte, anhand der ihnen innewohnenden Konsequenzen. Was eine Sache lohnend macht, ist vielleicht die Ausführung der Sache, wobei das natürlich nicht die Absicht ist, in der sie ausgeführt wird. Grund für die Tat ist nicht die Tatsache, dass sie einer Verpflichtung, einem Prinzip oder einer Beziehung entspricht, sondern das große Gut, die Tat auszuführen – wobei man unter einem wirklichen Gut etwas versteht, für das die großen Güter des Prinzips der Menschlichkeit als Beispiel dienen können.

Wir haben einige Einwände gegen das Gegenteil vom Konsequentialismus, die Deontologie vorgebracht. Es empfiehlt sich, nun auch den Gegenargumenten gegen den Konsequenzialismus ein wenig Zeit zu widmen. Er wurde vielfach zumindest für suspekt gehalten, für etwas, das in der Gesellschaft so erhabener Dinge wie der Philosophie, der Ethik und der Religion nicht geduldet werden kann. Es gibt Bücher, die von dieser Ablehnung durch vermutlich eine große Zahl von Moralphilosophen berichten. Es gibt viele wohlbekannte Argumente gegen bestimmte Arten von Konsequentialismus oder, besser gesagt, gegen viele Arten von Konsequentialismus im Allgemeinen, die zusammengefasst und nicht voneinander unterschieden werden.

Das bekannteste Gegenargument ist die Behauptung, dass der Konsequentialismus, so wie er verstanden wird, den Zweck benutzt, um die Mittel zu heiligen. In gewisser Weise ist das schlicht und einfach wahr. Alle Arten von Konsequenzialismus gehen von einem Zweck aus und halten es für lohnend, einen bestimmten Preis dafür zu bezahlen. Die Befriedigung eines Bedürfnisses oder etwas, das man erreicht, verursachen Kosten in Form von Unzufriedenheit oder Schmerz, die hinzunehmen oder zu ertragen sich lohnt. Aber was ist dagegen einzuwenden? Die Gegenargumente gegen den Konsequentialismus klingen so, als ob es allgemeingültige Gründe gäbe, ihn abzulehnen. Sie müssen allgemeingültig sein. Gibt es sie?

Es kann gar kein allgemeingültiges Argument gegen den Konsequentialismus geben, weil er ständig in unzähligen Fällen von jedermann akzeptiert wird. Ein Gang zum Zahnarzt ist das am häufigsten gebrauchte Beispiel. Andere nennen als Beispiel die Anwendung von Gewalt, um einen am Boden liegenden Mann vor Fußtritten gegen den Kopf zu bewahren, oder harte Worte, mit denen jemand daran gehindert werden soll, ein Kind grob zu behandeln. Oder die Existenz der Polizei. Es kann unmöglich ein allgemeines Gegenargument gegen jede Art von Konsequentialismus geben.
Der Konsequentialismus des Prinzips der Menschlichkeit kann, wie schwerlich noch genauer erklärt werden muss, nicht eindeutig mit der Behauptung beschrieben werden, dass der Zweck die Mittel heiligt. Richtig ist eher die Aussage, dass die Zwecke und die Mittel die Mittel rechtfertigen. Wir haben genug von der Notwendigkeit geredet, Mittel zu haben, die sich nicht selbst unwirksam machen und sinnlos schlechte Lebensbedingungen verursachen. Das haben wir von Anfang an vorausgesetzt.

Wenn jemand irgendeinen anständigen Konsequenzialismus ablehnt, muss er also davon ausgehen, dass ein bestimmtes Ziel bestimmte Mittel oder eine bestimmte Gruppe von Mitteln nicht rechtfertigt. In diesem Fall muss er für diesen speziellen Fall das Fehlen einer Rechtfertigung aufzeigen, ein Argument für seine Ansicht vorbringen. Wie das Denken und Handeln aller Menschen zeigt, kann er nicht davon ausgehen, dass diese Ansicht die Konsequenz einer allgemeingültigen Wahrheit ist. So etwas gibt es nicht.

Ist der Gegner des Konsequenzialismus vielleicht der Ansicht, dass manche Mittel so entsetzlich sind, dass kein denkbarer Zweck sie rechtfertigen kann? Das wird er beweisen müssen. Möglicherweise hat er recht. Aber er wird sich mit der Schwierigkeit konfrontiert sehen, dass das, was er an den Mitteln für undenkbar hält, z.B. die Folter, im Rahmen des fraglichen Ziels vielleicht mit größerer Sicherheit vermieden werden kann, als mit jedem anderen Ziel. Jedenfalls hat er kein allgemeingültiges Argument gegen den Konsequenzialismus.

Wenn jemand den Konsequentialismus im Allgemeinen infrage stellen will, steht er jedoch vor einer noch größeren Schwierigkeit. In jedem einzelnen Fall kann er nur hoffen, ein Argument gegen diesen speziellen Konsequenzialismus vorbringen zu können – und aus diesem Argument wird mit Sicherheit ein anderer Konsequenzialismus hervorgehen. Wenn er die Sklaverei als mögliches Mittel zu einem bestimmten Zweck ablehnt, wird ihm in der nächsten Minute ein Konsequenzialismus entgegengehalten, der alle Handlungen und politischen Maßnahmen ausschließt, zu deren Mitteln die Sklaverei gehört. Und natürlich schließt er die Sklaverei aus konsequenzialistischen Gründen aus.

Ein weiteres Argument gegen den Konsequenzialismus ist, dass er nicht danach fragt, was Recht und Unrecht ist und sich nicht in angemessener Weise mit moralischem Denken befasst. Es wird behauptet, dass er stattdessen berechnet, was durch eine Handlung gewonnen werden kann. Er achtet nur auf Gewinn und Verlust. Er beschäftigt sich mit Kosten/Nutzen-Analysen, sozialem Management, dem Ignorieren von Kollateralschäden und dergleichen.

 In einem solchen Fall fragt ein Konsequenzialist am besten, was solche Phrasen eigentlich bedeuten, was für Argumente sie angeblich beinhalten. Oder er kann mit einem Gegenangriff antworten, vielleicht, dass sein Diskussionsgegner die menschlichen Fakten nicht beachtet, sondern sich ablenken lässt, vielleicht durch Vorstellungen aus der Vergangenheit wie dem Gerede vom Verdienst oder der Bindung durch Beziehungen wie im Fall der Loyalität gegen die eigenen Kinder oder das eigene Volk. Der Konsequenzialist kann darauf beharren, dass er die Frage nach Recht und Unrecht, die moralische Frage, niemals aus den Augen verliert, sie jedoch auf menschliche Weise beantwortet. Es leuchtet ein, dass ein solcher Austausch von Sticheleien gar nichts klärt.

Vielleicht nehmen Sie an, dass in dem Vorwurf, der Konsequenzialismus würde nicht nach Recht und Unrecht fragen, sondern berechnen, was mit einer Handlung gewonnen werden kann, ein Körnchen Wahrheit steckt. Da ist zum Beispiel die Idee, dass jeder Konsequenzialismus dem bereits erwähnten Utilitarismus gleichkommt oder ihm zumindest ähnelt. Dieser war und ist ein Desaster, trotz der Klarheit und dem schätzenswerten menschlichen Gefühl, das in ihm steckt.

Das Prinzip des Utilitarismus oder das Prinzip des größtmöglichen Glücks bedeutet grob gesagt, dass Recht ist, was mit der größten Wahrscheinlichkeit für alle betroffenen Menschen ein Maximum an Befriedigung zur Folge hat – gewöhnlich das beste Verhältnis zwischen Zufriedenheit und Unzufriedenheit. Bekanntlich kann der Utilitarismus dies auf unerträgliche Weise tun oder anstreben, vielleicht auf unfaire oder ungerechte Weise oder indem er selbst schlechte Lebensbedingungen schafft. Eine Art, dies zu tun, besteht in einer Bestrafung von Unschuldigen. Nach dem philosophischen Jargon der jüngsten Zeit müssen wir stattdessen bestimmte Rechte schützen und bestimmte als Nebeneffekt auftretende Zwänge mit dem Ziel der Maximierung der Zufriedenheit verknüpfen. Einfacher gesagt können wir nicht nur die Maximierung von Zufriedenheit zum Ziel haben.

Diese Antwort auf den Konsequenzialismus, die Gleichsetzung mit dem Utilitarismus, ist bestenfalls rätselhaft. Der Konsequenzialismus wie wir ihn verstehen und wie er wahrscheinlich gewöhnlich verstanden wird, ist kein Utilitarismus. Wie gesagt beurteilt der Konsequenzialismus Recht und Unrecht von Handlungen und dergleichen nach den voraussichtlichen Konsequenzen. Der Konsequenzialismus ist die Gattung oder Familie, von der der Utilitarismus eine Spezies ist. Auch die anderen Spezies der Familie sind dem Utilitarismus weder gleich noch ähnlich. Die meisten lehnen ihn ab.

Jedenfalls lehnt das Prinzip der Menschlichkeit den Utilitarismus ab. In jeder Situation stellt das Prinzip der Menschlichkeit die folgende einfache Frage nach Wahrheit oder Irrtum: Welche Handlung dient unter Beachtung der Effektivität und der Kosten dem Ziel des Prinzips am besten, Menschen aus schlechten Lebensbedingungen herauszuholen und zu halten? Das ist nicht identisch mit der Frage, ob eine Handlung insgesamt das Maß der Befriedigung oder des Glücks maximiert. Manchmal kann man diese Maximierung erreichen, indem man gute Lebensbedingungen noch weiter verbessert oder Mittel akzeptiert, die Elend zur Folge haben.

Ein weiterer verwandter Einwand gegen den Konsequenzialismus muss mit großem Nachdruck zurückgewiesen werden. Die Antwort lautet, dass nach dem Prinzip der Menschlichkeit selbstverständlich schlechte Lebensumstände für viele Menschen schlimmer sind als schlechte Lebensumstände für weniger Menschen. Selbstverständlich ist nach dem Prinzip der Menschlichkeit das Massakrieren von Hunderten von Menschen schlimmer als das Töten eines einzelnen.

Selbstverständlich ist nach dem Prinzip der Menschlichkeit der Hungertod einer unfassbar großen Zahl von Menschen schlimmer als der Hungertod weniger Menschen. Selbstverständlich sind wir nach dem Prinzip der Menschlichkeit verpflichtet, das vorzuziehen was am wenigsten schlimme Konsequenzen hat.
Kann es irgendjemanden geben, was auch immer derjenige für schlimm hält, der diese Ansicht nicht teilt? Nun ja, einige besonders empfindsame oder besonders harte Philosophen haben versucht, vorzugeben, sie dächten anders. Sie sprechen auf verdächtige Weise von jedem maximierenden Prinzip, als ob so etwas für jeden anständigen Menschen abstoßend sein müsste. Tatsächlich spielt aber das sogenannte Maximieren in fast jedem normalen moralischen Denken und Fühlen eine Rolle. Es ist kaum von der logisch begründeten Absicht zu trennen, effektive und möglichst wenig aufwendige Mittel zu verwenden, um ein Ziel zu erreichen. Wenn Sie Abtreibungen für ein Unrecht halten, wollen Sie vermutlich weniger Abreibungen.

Vielleicht ist der Widerstand gegen den Konsequenzialismus nur eine Verwirrung, die auf seinen Namen und auf eine Beschreibung zurückgeht, die wir gebilligt haben. Der Name lässt darauf schließen, dass bestimmte Moralvorstellungen sich ausschließlich auf die Konsequenzen oder Ziele konzentrieren und die Mittel unbeachtet lassen, oder zumindest den Zwecken mehr Aufmerksamkeit schenken als den Mitteln. Und wenn man den Konsequentialismus als Moralvorstellung beschreibt, die Recht und Unrecht der Dinge nach ihren vorhersehbaren Konsequenzen beurteilt, lässt man auch die Idee zu, dass die Zwecke mehr beachtet werden als die Mittel, oder das die Zwecke zu stark beachtet werden.

Zweifellos hat es einige Moralvorstellungen gegeben, die genau das tun. Irrtümer und Fehler treten überall auf. Tatsächlich ist es jedoch absurd, zu glauben, das Prinzip der Menschlichkeit würde die Mittel nicht in vollem Umfang beachten. Ganz im Gegenteil, eine vollständige Untersuchung der Mittel wird ausdrücklich von ihm verlangt. Es macht von Anfang an klar, welche Mittel vertretbar sind und welche nicht. Die Mittel dürfen nicht wirkungslos sein oder sich selbst aufheben. Tatsächlich bezieht sich das Prinzip auf die Mittel ebenso wie auf den Zweck – beides wird im Hinblick darauf erwogen, Menschen aus schlechten Lebensbedingungen herauszuholen und zu halten.

Gemäß dem Prinzip der Menschlichkeit rechtfertigen Zweck und Mittel zusammen die Mittel. Das Prinzip erfordert, dass der Zweck und die Mittel dies gemeinsam tun.

Könnte es sein, dass verschiedene Widersprüche und Verwirrungen schneller überwunden worden wären, hätte nicht ein Philosoph einigen Moralvorstellungen einen Namen gegeben?


Definition des Terrorismus

Politiker und Sprecher des Staates Israel waren die ersten, die regelmäßig im Fernsehen auftraten, um uns mitzuteilen, dass ihr Staat sich als Demokratie in einem Kampf gegen den Terrorismus befände – und daher zweifellos im Recht sei. Bei jeder Gelegenheit wussten wir, wogegen sie angeblich kämpften. Es war immer ein besonderes Ereignis an dem betreffenden Tag oder am Tag davor, wie z.B. ein Selbstmordattentat in einem Restaurant in Tel Aviv.

Nach ihnen kamen die Amerikaner, die nach dem 11. September ebenfalls im Fernsehen auftraten, und wieder hatten wir keinen Zweifel. Der Terrorismus bestand darin, Flugzeuge gegen Wolkenkratzer zu fliegen und viele Menschen zu töten. Das gleiche galt für die Spanier und ihre Berichte über die Toten von Madrid. Jetzt, nach dem 7. Juli und den Bomben in der Piccadilly Line, den anderen Zügen und dem Bus und den nachfolgenden Aktionen zwei Wochen später wissen wir in England, was es bedeutet, wenn wir in den Abendnachrichten etwas über Terrorismus hören.

Wir hatten nicht den geringsten Zweifel, dass die besagten Angriffe nichts anderes als Terrorismus sein konnten. Das Wort kann fraglos viele Dinge beinhalten. Das gleiche gilt für die Bezeichnung für andere Dinge, beispielsweise für das Wort für Flugzeug, Bombe oder Krieg. Auch in diesen Fällen halten wir uns an gleichartige Beispiele der fraglichen Sache. Das lässt jedoch in allen Fällen eine allgemeine Frage zu.

Wir brauchen eine allgemeingültige Definition der jeweils fraglichen Sache, ob sie nun schwierig ist oder nicht. Wir können mit anderen Dingen konfrontiert werden, bei denen es nicht klar ist, ob sie als Bomben, Flugzeuge oder Züge bezeichnet werden können. Dadurch erhebt sich die Frage nach einer allgemeingültigen Definition. Das gleiche trifft für den Terrorismus zu.

Es ist eine Frage für die Verfasser von Lexika, aber auch für jeden, der versucht, über bestimmte Fälle oder auch nur einen Fall nachzudenken. So ist es auch eine Frage für uns. Man kann über eine bestimmte Sache anders denken oder fühlen weil man sieht, dass sie anderen Dingen ähnlich ist oder auch nicht, Dingen, die der gleichen Kategorie angehören oder auch nicht, vielleicht einer Kategorie, mit der man bestimmte Gefühle verbindet. Man kann über eine bestimmte Sache unterschiedlich urteilen, kann sie verdammen oder rechtfertigen oder auch anders verstehen, weil sie einen an andere Dinge erinnert, denen sie ähnelt oder auch nicht.

Die Aufgabe, eine allgemeine Definition von etwas zu formulieren, kann von Leuten zu ihrer Zufriedenheit erfüllt werden, die dabei eine Neigung, einen Impuls, ein Motiv, eine Verpflichtung, eine Leidenschaft, einen Plan oder ein Komplott verfolgen. Eine solche Situation ist nichts Ungewöhnliches. Eine Firma, die feststellt, dass es Vorschriften, Steuergesetze, eine öffentliche Meinung und mögliche Profite im Zusammenhang mit Transportmitteln gibt, kann versuchen, die Regierung dazu zu bewegen, eine allgemeine Definition von einer Sache wie z.B. einem Flugzeug oder einer Bombe zu akzeptieren, die ihren Interessen dient.

Wie wir alle wissen, kann ein Politiker oder Regierungssprecher Terrorismus implizit oder explizit als Gewalt gegen seine eigene Seite definieren, die im Gegensatz zu der gleichen Art von Gewalt steht, die von seiner Seite begangen wird. Amerikanische Präsidenten schließen eine Menge Gewalt in Südamerika aus der Kategorie des Terrorismus aus, darunter das Finanzieren, Ermutigen, in Auftrag geben oder Ignorieren von Mord und Folter durch die CIA. Politiker können, wie jeder andere auch, den Terrorismus jedoch auch explizit oder implizit als per definitionem monströs und wahnsinnig darstellen.

Dies mag Sie zu der Annahme veranlassen, dass bezüglich einer allgemeinen Sicht des Terrorismus im aktuellen Denken, bei Untersuchungen oder ernsthaften Diskussionen ein ernst zu nehmendes Problem besteht. Vielleicht nehmen Sie an, dass es ein echtes Problem philosophischer, linguistischer, semantischer oder sonst wie intellektueller Natur gibt. Vielleicht sagen Sie, dass es unmöglich ist, zwischen Definitionen zu unterscheiden, die darauf abzielen, uns von etwas zu überzeugen, wie manche Philosophen es formuliert haben. Was das tatsächliche Denken betrifft, so stellt es jedoch kein echtes Problem dar, dass es unterschiedliche Definitionen gibt, dass ein Mann, der für eine Regierung als Freiheitskämpfer gilt, für jemand anderen ein Terrorist ist.

Stellen Sie sich vor, sie stünden auf der Seite von oder hätten Sympathien für bestimmte Leute, die sie auf bestimmte Weise definieren und darum als Freiheitskämpfer bezeichnen. Stellen Sie sich vor, ich wäre gegen gewisse Leute, die ich auf bestimmte Weise definiere und deshalb als Terroristen oder Schlimmeres bezeichne. Die Definitionen und Bezeichnungen können sich auf die gleichen Leute beziehen, trotz unserer unterschiedlichen Folgerungen bezüglich dessen, was für oder gegen sie vorgebracht werden kann. Die unterschiedlichen Folgerungen stellen kein nennenswertes Problem dar, ob man sie nun als Teil der Bedeutung der definierten Begriffe auffasst oder nicht.

Um es so überzeugend wie möglich auszudrücken, Sie können ihre Position verteidigen, indem sie sagen, es gäbe keine Leute, die unter meine Definition von Terroristen fallen, sondern nur Leute, die unter Ihre Definition von Freiheitskämpfern fallen. Sie können für Ihre Ansicht jedes Argument vorbringen, das Ihnen einfällt. Ich kann meine Position verteidigen, indem ich sage, dass es keine Leute  gibt, die unter ihre Definition von Freiheitskämpfern fallen, sondern nur Leute, die unter meine Definition von Terroristen fallen, und dann meinen Standpunkt auf jede beliebige Weise begründen. Um unsere Untersuchung zu vereinfachen und die Tatsachen und Werte voneinander getrennt zu halten, können wir uns auch darauf einigen, unsere unterschiedlichen Einstellungen beiseite zu lassen  und lediglich zu untersuchen, was für oder gegen die besagten Leute gesagt werden kann.

Niemand, nicht einmal ein Politiker, kann dadurch etwas gewinnen, dass er auf eine einseitige Definition zurückgreift. Wenn wir über die Dinge nachdenken, spielt es keine Rolle, dass es keine Möglichkeit gibt, sich zwischen verschiedenen Definitionen zu entscheiden, ob und in welchem Maß das nun zutrifft oder nicht. Also gibt es hier auch keinen ernstzunehmenden Grund für einen Disput. Wenn es nichts zu gewinnen gibt, kann es auch keinen unlösbaren Konflikt geben. In einer echten Diskussion gibt es nichts zu gewinnen, wenn man den Terrorismus so definiert dass es konzeptionell unmöglich ist, dass amerikanische, britische oder israelische Soldaten so etwas tun, oder dass es ebenso unmöglich ist, dass das, was die Patrioten eines armen oder unterdrückten Landes tun, Terrorismus sein könnte. Für einen politischen Philosophen, für einen Philosophen, der, wie die meisten Philosophen, auf einer bestimmten Seite steht, oder für jemanden, der in einer Auseinandersetzung tatsächlich eine Seite vertritt, gibt es nichts zu gewinnen, wenn er seine Meinung mehr oder weniger geschickt in die Definition einfließen lässt.

  Fassen wir also zusammen: In den meisten Fällen von Terrorismus im gewöhnlichen Sinn dieses Wortes haben wir keinen Zweifel. Allgemeingültige Definitionen sind im Hinblick auf bestimmte Fälle von wesentlicher Bedeutung. Eigennützige allgemeine Definitionen werden ständig formuliert und vorgetragen, aber sie können das wirkliche Denken über das Thema nicht besonders stören und können leicht durch brauchbarere ersetzt werden, die weniger leicht zu Verwirrung führen. Zunächst muss jedoch noch etwas anderes gesagt werden.

Die Tatsache, dass es alternative Definitionen gibt und ihre Bedeutungslosigkeit für das Denken und für ehrliche Untersuchungen, darf nicht mit etwas anderem verwechselt werden. Es bedeutet nicht, dass das, was in Reden über den Terrorismus gemeint ist und angedeutet wird anderen Orts unwichtig sei. Genau das Gegenteil ist richtig. Die Welt ist weder eine Universität, noch ein Buch, noch eine halbwegs vernünftige Diskussion. Wenn das möglich wäre, gibt es immer Leute, die es unmöglich machen.

Wir leben in einer Welt, in der das stärkste Argument, das in der Öffentlichkeit beispielsweise gegen die Palästinenser vorgebracht wird, in Reden über den Terrorismus besteht. Wenn es keine Möglichkeit gibt, Ihre Sichtweise in eine beachtenswerte moralische Beurteilung hineinzudefinieren, gibt es immer eine Möglichkeit, Ihre Sichtweise in eine Beurteilung hineinzudefinieren, die es nicht wert ist, beachtet zu werden, die jedoch die größte Wirkung hat – z.B. die Wirkung, die Leute dazu zu bewegen, für eine Seite Stellung zu beziehen, anzunehmen, dass es keine offenen Fragen dazu gibt, eine Politik und Handlungen zu billigen, die die größten Konsequenzen haben.

Dass die Verwendung des Wortes Terrorismus sich so stark eingebürgert hat, ist in erster Linie auf einseitige politische Absichten zurückzuführen, auf Politiker, die ein zusätzliches Werkzeug für ihre Propaganda brauchten. Vor dem ersten Auftreten islamischer und auch einiger nicht islamischer Gewalt tauchte das Wort Terrorismus, wie Sie sich erinnern werden, nur in Geschichtsbüchern auf, hauptsächlich in Büchern über die französische Revolution. Gewalt in dem Sinne, in der wir sie gerade untersuchen, war als politische Gewalt bekannt, und Konferenzen zu dem Thema wurden Konferenzen über politische Gewalt genannt.

Kaum ein anderes Mittel hat sich als so wirksam erwiesen, um zwei Länder in einen Krieg gegeneinander zu treiben, wie das Wort Terrorismus. Im Irak-Krieg starben zuverlässigen Schätzungen zufolge etwa 60.000 Zivilisten – 60.000. Sie waren Menschen mit Namen, Freundinnen und Ehepartnern, die ebenso viel Hoffnung für ihr zukünftiges Leben hegten wie Blair oder beispielsweise der brasilianische Elektriker Jean Charles de Menezes, dessen Namen jeder Engländer kennt, seit er irrtümlich von einer Anti-Terror-Einheit in einem Londoner U-Bahnhof erschossen wurde.

Aber die Betrachtungen über die Wirkung eines Wortes interessieren uns an dieser Stelle nicht. Um mehr über Natur und Umfang der Problematik allgemeiner Definitionen zu erfahren, die im tatsächlichen Denken und Forschen auftritt, wollen wir uns für unsere eigene Untersuchung auf eine solche Definition einigen.
Terrorismus ist in erster Linie Gewalt, eine destruktive Anwendung von Gewalt. Er beinhaltet Töten, Verstümmeln und Zerstörungen, und, wie man vernünftiger Weise hinzufügen kann, die Nachwirkungen all dieser Dinge. Einige progressive und meistens marxistische Denker neigten früher einmal dazu, das Verständnis von Gewalt so zu erweitern, dass auch nicht physische Gewalt damit abgedeckt war, z.B. Ausbeutung und dergleichen, vielleicht auch der Kapitalismus. Diese Art von Gewalt wurde strukturelle oder institutionelle Gewalt genannt. Wir brauchen uns der Meinung dieser Denker nicht anzuschließen. Ein Grund, dies nicht zu tun, ist, dass wir dadurch zumindest vorzeitig von unserem Thema abgelenkt würden.

Zweitens ist Terrorismus Gewaltanwendung in kleinerem Umfang als Krieg. Wir können es anderen überlassen, die Trennungslinie zu ziehen und zu sagen, um wie viel kleiner er sein muss. Was auch immer über die beiden Phänomene gesagt werden kann, wir brauchen eine Unterscheidung zwischen dem 11. September und Krieg. Auf diese Weise können wir nicht nur andere Unterschiede zwischen den beiden Dingen erkennen, sondern auch sehen, inwiefern sie sich gleichen. Es kann nicht sinnvoll sein, etwas zu verurteilen oder zu verteidigen, wenn man damit anfängt, es durcheinanderzubringen.

Drittens dient Terrorismus einem politischen Zweck und damit auch einem weiteren Ziel eines Volkes, das unzureichend als soziales Ziel beschrieben wird. Dieses Ziel bezieht sich naturgemäß auf ein Volk oder ein Land und die großen menschlichen Güter, die fundamentalen Wünsche, die wir alle miteinander gemein haben. Terrorismus ist kein kriminelles Verhalten, das dem persönlichen Gewinn oder der persönlichen Befriedigung dient. Wenn auch noch andere Dinge damit angestrebt werden sollten, dann ist das etwas, was der Terrorismus mit fast allen menschlichen Unternehmungen gemein hat. Wenn mehrere Motive eine Rolle spielen, bedeutet das nicht, dass es kein Hauptmotiv gibt, das Hauptmotiv einer gemeinsamen Bewegung.

Viertens ist Terrorismus eine Form von Gewalt, die gegen nationales oder internationales Recht verstößt. Die gesetzlich vorgesehene Gewaltanwendung durch Polizisten und Soldaten ist nicht damit gemeint. Auch gewisse Handlungen einer Nation, die vielleicht als gerechter Krieg bezeichnet werden können, gehören nicht dazu. Was auch immer daraus folgt oder nicht folgt, dass Terrorismus per definitionem als illegal erklärt wird, und welche Schwierigkeiten sich auch immer daraus ergeben, es ist von ausschlaggebender Bedeutung, um eine brauchbare Festlegung des Themas vornehmen zu können. 

Jedenfalls muss zu Untersuchungszwecken zwischen jungen muslimischen Männern, die Bomben in einen U-Bahnzug in London legen, und unseren Sicherheitskräften, die sie erschießen, ein Unterschied gemacht werden. Es kann nicht der Unterschied zwischen Recht und Unrecht sein, denn damit würde man etwas voraussetzen was erst bewiesen werden muss und worüber wir in diesen und anderen Fällen, vielleicht noch schwierigeren Fällen, nachdenken wollen. Ferner würde eine Definition des Terrorismus dadurch zu einer Quelle der Verwirrung, weil bei manchen Handlungen oder Kämpfen keine Einigkeit darüber besteht, ob sie unrecht waren oder sind, angefangen mit solchen, die zur Geburt eines Nationalstaats führten und heute verherrlicht oder gefeiert werden.  

Demzufolge muss eine brauchbare Definition die Dinge danach unterscheiden, ob sie illegal oder legal sind. Dieser Methode folgen so unterschiedliche Verfasser von Definitionen wie Chomsky, die Armee der Vereinigten Staaten, die britische Regierung in ihrem Gesetz zum Terrorismus von 2002 und vermutlich auch die Verfasser aller anderen Definitionen nach legalen Gesichtspunkten. Die unangenehme Tatsache, dass daraus folgt, dass der Terrorismus auf dem besten Wege ist, das zu sein, was Nationalstaaten beschließen – indem sie nationales oder internationales Recht formulieren, macht die Methode jedoch nicht falsch.

Fünftens und letztens können wir betonen, dass sich bezüglich des Terrorismus tatsächlich die Frage stellt, ob er unrecht und nicht gerechtfertigt ist. Man sollte sogar noch weiter gehen und betonen, dass er prima facie ein Unrecht ist, was daraus hervorgeht, dass er mit Töten und Verstümmeln und dem Ruinieren des Lebens anderer Menschen verbunden ist. Dadurch ergibt sich augenblicklich ein schwerer Vorwurf. Damit ist so viel und so wenig gegen den Terrorismus gesagt, wie vernünftiger Weise in einer Definition des Krieges gesagt werden müsste.

Diese Definition des Terrorismus als Gewalt in geringerem Umfang als Krieg, politisch, illegal und prima facie ein Unrecht wirft natürlich viele Fragen auf. Die wichtigste davon hat mit der Eigenschaft zu tun, dass Terrorismus gegen nationales und internationales Recht verstößt. Wie wir bereits festgestellt haben, ist das Völkerrecht weit davon entfernt, klar und unumstritten zu sein. Es verliert sich in Normen und Konventionen, von denen keine eindeutig fassbar ist. In diesem Fall ist die vorher beschriebene Definition des Terrorismus vage.

Dies mag Ihnen unwichtig erscheinen, weil das Völkerrecht immerhin klar und unumstritten genug ist, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass die Taten vom 11. September und vom 7. Juli Terrorismus waren. Und zum Zweck der Untersuchung können wir auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Intifadas oder Aufstände der Palästinenser als Terrorismus bezeichnet werden müssen. Ich zumindest bin dieser Meinung. Das wird niemanden überraschen, der sich der Tatsache bewusst ist, dass der Prozess des Formulierens von Definitionen Entscheidungen und nicht Entdeckungen beinhaltet. Tatsächlich ist es ein Problem, dass die Definition so vage ist, aber es ist ein Problem, mit dem man zurechtkommen kann. Es gibt größere Probleme mit Definitionen.

Man braucht kaum darüber nachzudenken, um zu erkennen, dass unsere Definition die Möglichkeit nicht ausschließt, dass auch Nationalstaaten terroristische Handlungen begehen können. Sie schließt die Möglichkeit von Staatsterrorismus oder offiziellem Terrorismus nicht aus. Gewalt durch einen Staat kann offensichtlich sämtliche Kriterien der Definition erfüllen, vor allem die, dass sie ein Verstoß gegen das Völkerrecht sein muss. Und ohne Zweifel kann es auch Terrorismus durch einen demokratischen Staat geben.

Ebenso klar ist es, dass die Definition nicht so verstanden werden kann, dass sie etwas Wesentliches über den Krieg aussagt, abgesehen davon, dass der Krieg größer ist. Sie lässt die Möglichkeit offen, dass ein Krieg unrecht sein kann und dass auch ein Krieg gegen den Terrorismus unrecht sein kann. Die Definition lässt auch die Möglichkeit offen, dass ein Krieg, der etwas anderes ist als Terrorismus, ein Verstoß gegen das Völkerrecht oder gegen UNO-Resolutionen sein kann oder von beidem nicht gestattet wird. Ein solcher Krieg ist natürlich ebenfalls Gewalt mit einem politischen oder sozialen Ziel und prima facie unrecht. Es könnte nützlich sein, dieser Art von Krieg einen Namen zu geben.

Er kann ein terroristischer Krieg sein, womit nicht gesagt werden soll, dass er tatsächlich eine Art von Terrorismus gemäß unserer Definition ist, sondern nur, dass er alle Eigenschaften des Terrorismus aufweist, mit Ausnahme des kleineren Umfangs. Oder er kann ein verbrecherischer Krieg sein, was uns daran erinnert, dass er eine der wesentlichsten Kriterien des Terrorismus mit diesem teilt, nämlich die Gesetzwidrigkeit, dass er aber auch alle anderen Eigenschaften mit Ausnahme des kleineren Umfangs aufweist. Jede dieser Bezeichnungen ist für das, was sie benennt, zumindest ebenso passend wie der Name Terrorismus für das, was er bezeichnet. Alles was für die Bezeichnung Terrorismus im Sinne unserer Definition spricht, spricht ebenso für die Bezeichnung terroristischer Krieg. Das gleiche gilt für die Bezeichnung verbrecherischer Krieg.

 Um zu unserer Definition des Terrorismus zurückzukehren, so lässt sie mehr offen als nur die Möglichkeit von Staatsterrorismus oder offiziellem Terrorismus. Wie gesagt lässt die Definition, trotz ihres Augenmerks auf die Tatsache, dass Terrorismus prima facie unrecht ist, die Möglichkeit von berechtigtem Terrorismus offen. Manchmal kann es sich um demokratischen Terrorismus handeln – Terrorismus mit dem Ziel der Einführung der Demokratie. Das mag beruhigend für Bewunderer von Nelson Mandela vom Afrikanischen Nationalkongress sein, ebenso für Amerikaner und andere, die Freiheitskämpfer finanziert haben, und für Patrioten mit klaren Köpfen und historischem Bewusstsein in vielen Ländern, einschließlich Israel. Aber die Bedeutung dieser Tatsache ist erheblich weitreichender. Auch wenn unsere Definition für Untersuchungen nicht wichtiger ist als jede andere Definition, so ist sie doch in diesem Teil und allen anderen Teilen nützlich für unsere Untersuchung. Sie hilft uns ein wenig, Verwirrungen, Manipulationen, und Auslassungen zu vermeiden und uns nicht von uns selbst in die Irre führen zu lassen und dergleichen mehr.

Dass die Definition die Möglichkeit von berechtigtem Terrorismus offen lässt, geht notwendigerweise Hand in Hand mit der Tatsache, dass ein terroristischer Akt oder Kampf auch Selbstverteidigung oder Widerstand sein kann, insbesondere Widerstand gegen ethnische Säuberungen. Er kann Widerstand gegen Genozid, ein Freiheitskampf oder  eine aus menschlichen Gründen notwendige Gegenwehr gegen abscheuliche Eigensucht anderer, eines anderen Volkes oder dessen Regierung und mehr sein.

Um noch einmal auf den terroristischen Krieg zurückzukommen, so muss angemerkt werden, dass diese Art von Krieg dem Terrorismus selbst insofern gleicht, als er richtig und gut sein kann – obwohl er prima facie unrecht ist – aber auch ein Unrecht sein kann. Wir werden weder in dieser noch in irgendeiner anderen Frage das Urteil vorwegnehmen. Zu sehen oder zu urteilen, dass ein Krieg terroristisch ist, bedeutet nicht, zu sehen oder zu urteilen, dass er ein Unrecht ist. Er kann nicht von vornherein verurteilt werden. Das bedeutet jedoch, auf etwas zu verzichten, was andere vielleicht für das halten, womit dieser Krieg sich von anderen unterscheidet und womit er gerechtfertigt werden kann – die angebliche Begründung, dass er dem Recht entspricht. Er ist durch kein Gesetz zu rechtfertigen, was für eine Rechtfertigung das auch immer sein sollte. Ein solcher Legalismus taugt zu nichts.

Wenn diese Logik nicht dem vertrauten Denken und Reden über Terrorismus und Krieg entspricht – und sie entspricht mit Sicherheit nicht dem Denken der meisten Politiker - so ist sie doch ganz einfach notwendig. Das bedeutet im Grunde genommen, dass manche Kriege mit Ausnahme der Größenordnung alle Merkmale des Terrorismus aufweisen können, einschließlich des Merkmals der Illegalität. Dass der Unterschied zwischen beiden so gering ist, ist ein ausgezeichneter Grund, dieser Gleichheit mit einem Namen Ausdruck zu verleihen. Wir brauchen eine solche Erinnerung. Außerdem machen wir es dadurch weniger wahrscheinlich, dass jemand irrtümlich annehmen kann, dass es ebenso wie es immer eine Rechtfertigung für einen Krieg gibt, nämlich seine Legalität, auch immer einen besonderen oder einmaligen Grund geben muss, Terrorismus zu verurteilen. Einen solchen Grund gibt es nicht.

Um noch eine Weile beim Thema zu bleiben, das Wichtigste am Terrorismus, dem terroristischen Krieg und anderem Krieg nach unserem Verständnis ist die Tatsache, dass alle drei sowohl richtig und gerechtfertigt als auch ein Unrecht sein können.  Nach unserer Definition kann es also gerechtfertigten Terrorismus gegen einen nicht gerechtfertigten terroristischen oder anderen Krieg geben. Ebenso kann nach unserer Definition der Terrorismus ein Unrecht und der terroristische oder andere Krieg gerechtfertigt sein. Unsere Definitionen sind folglich genau so, wie sie zum Zweck des Denkens und Fühlens sein sollten. Wir verurteilen nicht im Voraus und setzen nichts als Tatsache voraus, was erst bewiesen werden muss. Wir vermeiden die intellektuelle Absurdität der letzten Jahre oder vielleicht unseres Zeitalters in unserem Teil der Welt. Gleichzeitig wird diese Absurdität bei vernünftigem Nachdenken nicht nur im Rahmen des Prinzips der Menschlichkeit sondern auch im Rahmen der Theorie vom gerechten Krieg und der Menschenrechte vermieden. Wenn wir uns in Gesellschaft denkender Menschen befinden, ist unsere Art des Vorgehens keineswegs so einmalig.

Tatsächlich gibt es jedoch auch noch andere allgemeine Definitionen des Terrorismus als die unsere. Nach der Definition, die meistens von unseren politischen Führern verwendet wird, ist Terrorismus, wie gesagt, immer zumindest ein Unrecht und nicht gerechtfertigt, gewöhnlich aber böse und monströs. Nach unserer Definition kann Terrorismus all dies sein. Was die Definition betrifft haben wir gegen die Beurteilungen und Gefühle unserer politischen Führer nichts einzuwenden, und es besteht auch keine Notwendigkeit, ihrer Definition entschlossen zu widersprechen. Wir könnten eine Definition übernehmen, die mit der unseren beginnt, und eine abschließende Klausel hinzufügen, in der klargestellt wird, dass Terrorismus ein Unrecht oder ganz einfach böse ist. Das würde unsere Untersuchung behindern und es notwendig machen, den einen oder anderen weiteren Ausdruck zu definieren, beispielsweise einen Ausdruck für Aktivitäten, die zwar terroristisch, aber dennoch nicht ganz und gar böse sind und einfache oder ausschließlich emotional reagierende Menschen zu Fehlurteilen verleiten könnten. Aber mehr als das würde wie gesagt nicht passieren.

Unsere Untersuchung gilt tatsächlich teilweise dem Recht oder Unrecht, der Moral oder Unmoral, der Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit dessen, was in Palästina von Palästinensern, Zionisten und Neo-Zionisten getan worden ist und was am 11. September, am 7. Juli und in Irak passier ist. Wenn wir die Definition des Terrorismus unserer politischen Führer übernehmen würden, müssten wir uns jetzt unter anderem die heute übliche Frage stellen, ob die Ereignisse vom 11. September und vom 7. Juli Terrorismus waren, und wenn ja, warum. Trotz der Definition könnte es sich, wie bereits gesagt, herausstellen, dass dies nicht der Fall ist. Die Definition könnte unsere Untersuchung vielleicht etwas komplizieren, aber sie hätte keinen nennenswerten Einfluss darauf.

Das gleiche gilt für eine weitere gebräuchliche Definition des Terrorismus. Nach dieser Definition richtet sich der Terrorismus gegen Unschuldige, nicht am Kampf beteiligte, zufällige Opfer. Der Ausdruck ‚sich gegen etwas richten‘ muss natürlich genau umrissen werden, was nicht unproblematisch ist. Aber lassen wir das noch eine Weile beiseite. Stellen Sie sich vor, die Definition, über die wir nachdenken, wäre die, auf die wir uns bereits geeinigt haben, aber mit dem Zusatz über Unschuldige und nicht am Kampf beteiligte Opfer.

Daraus geht ziemlich eindeutig hervor, dass Terrorismus ein Unrecht ist, weil man davon ausgehen muss, dass es ein Unrecht ist, Unschuldige zu töten – eine Annahme, die insbesondere das Prinzip der Menschlichkeit erfordert. Vermutlich dürfte die Definition einige unangenehme Folgerungen mit sich bringen. Wenn ein Selbstmordattentäter der al-Kaida den Oberbefehlshabers der Streitkräfte der USA, den Präsidenten der Vereinigten Staaten töten würde, von dem schwerlich behauptet werden kann, er sei nicht am Kampf beteiligt, dann wäre das demnach kein Terrorismus. Aber das spielt keine große Rolle, weil vermutlich alle Definitionen irgendwelche unbequemen Schlüsse zur Folge haben. Es wird ein bisschen Sorgfalt erfordern, aber wir können unsere Untersuchung ebenso gut mit Hilfe der Definition mit dem Zusatz über Unschuldige und nicht am Kampf beteiligte Opfer fortsetzen. Aber natürlich müssen wir dann auch Angriffe auf das Leben von Menschen mit einbeziehen, die keine unschuldigen und nicht am Kampf beteiligten Opfer sind.
Sollen wir noch hinzufügen, dass Terrorismus Furcht und Schrecken auslöst? Nun ja, Krieg löst mehr Furcht und Schrecken aus als jede andere menschliche Aktivität, Terrorismus nicht ausgenommen.

Wenn man Terrorismus als erschreckend definiert, deutet man damit fälschlicherweise an, dass er einzigartig ist und besonders großes Entsetzen auslöst. Damit würde man dazu verführen, die Natur des Krieges, auch des terroristischen Krieges, falsch einzuschätzen und ihn prima facie zu billigen oder zu tolerieren. Wenn Sie unserer Definition hinzufügen wollen, dass Terrorismus in höherem Maß als Krieg vom dadurch ausgelösten Entsetzen abhängt, könnte ich dem zustimmen, sofern noch etwas anderes hinzugefügt wird – nämlich dass Terrorismus erheblich weniger als Krieg von der Anzahl der Toten abhängt, und vielleicht auch noch, dass durch nicht staatlichen Terrorismus bei weitem nicht so viele Menschen ums Leben kommen wie durch Staatsterrorismus. 

Wie soll man sich angesichts all dieser Tatsachen für eine Definition entscheiden? Es ist offensichtlich, wie die Entscheidungen für die Alternativen zu unserer Definition zustande kommen. Die Alternativen werden gewählt, um eine unbewiesene Antwort geben zu können oder uns dazu zu bewegen, eine bestimmte Antwort auf die Hauptfrage zu akzeptieren. Zumindest werden sie gewählt, um unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Überlegungen zu lenken und andere zu ignorieren. Aber ist so etwas immer und ganz und gar falsch und unrecht?

Unsere eigene Definition des Terrorismus als Gewalt in geringerem Umfang als Krieg, als politisch und sozial, illegal und prima facie unrecht hat den Vorzug, normal zu sein, jedenfalls wenn wir über unser Thema nachdenken und bestimmte Fragen stellen und dabei so offen für alle Einwände sind wie nur möglich. Es ist keine Definition, die sich an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten empfiehlt. An Schreckenstagen wie dem 11. September und dem 7. Juli und den Tagen danach empfiehlt es sich nicht, sie vorzubringen. Aber jetzt ist sie empfehlenswert. Sie hat den Vorzug, das Thema zu umreißen ohne zu verwirren und es von verwandten Themen abzugrenzen, ohne diese anderen Themen auszuschließen.

Das ist jedoch nicht alles an das man denken kann. Vielleicht denken Sie gerechtfertigter Weise, um auf die gerade besprochene Frage zurückzukommen, dass es so wichtig ist, eine richtige und menschliche Antwort auf die Fragen zum Terrorismus zu bekommen, dass Sie auf einer Definition bestehen müssen, die uns allen hilft. Sie sagen, dass Sie auf einer Definition bestehen müssen, die das wahllose Töten von Unschuldigen mit einbezieht.

Wie Sie wissen wird uns das nicht sehr viel weiterhelfen, und einem Menschen mit klarem Kopf, der fest entschlossen ist, selbst auf die richtige Antwort zu kommen hilft es überhaupt nicht. Er kann, egal wie die Definition aussieht, leicht zu dem Schluss kommen, dass manchmal das Töten von Nicht-Unschuldigen schlimmer sein kann als das von Unschuldigen. Sie können Schlüsse nicht mit Definitionen verhindern. Sie beharren dennoch darauf, dass die richtige Definition nützlich sein könnte.

Es fällt mir nicht schwer, zuzugeben, dass meine Definition des Terrorismus in mancher Hinsicht auf meinen Glauben an das Prinzip der Menschlichkeit zurückzuführen ist. Es gestattet uns nicht, anzunehmen oder zu der Annahme zu neigen, dass Terrorismus das einzige ist, durch das unschuldige Menschen ums Leben kommen. Es lenkt uns nicht von der Tatsache ab, dass auch im Krieg unschuldige Menschen getötet werden. Es macht keinen Unterschied zwischen Terrorismus und Krieg, der nicht existiert. Den Terrorismus so zu definieren, dass die Definition nicht zur Tolerierung des Tötens von Unschuldigen im Krieg beiträgt, bedeutet mehr gegen das Töten von Unschuldigen zu tun als jemand, der Terrorismus als Angriff auf unschuldige Menschen definiert und auf diese Weise dazu beiträgt, dass das Töten von noch mehr Unschuldigen toleriert wird. 

Meine Definition ist also doch für etwas gut. Sie kann auch in anderer Hinsicht nützlich sein, beispielsweise dadurch, dass sie einen Automatismus bezüglich Terrorismus und Demokratie weniger wahrscheinlich macht. Übrigens, worauf stützen Sie Ihre Definition? Woher kommt sie? Darüber können Sie weiter nachdenken, wenn wir noch einmal auf das Thema zurückkommen, was wir tun werden.

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